1973 veröffentlichte John Cale den Song „Paris 1919“ auf seinem gleichnamigen Album. Dabei handelte es sich um die dritte Sammlung von Musikstücken, für die er allein verantwortlich war. Der Text des Liedes gibt keine klare Auskunft, auf welches Ereignis der Titel anspielt. Aber wenn Cale den Vers „the continent’s just fallen in disgrace“ („Der Kontinent ist gerade in Ungnade gefallen“) singt, dann bezieht sich die Zeile auf das Ende des Ersten Weltkriegs und die Pariser Friedenskonferenz 1919. Der daraus resultierende Versailler Vertrag trug zum Unheil des Zweiten Weltkriegs bei, so dass der Titel „Paris 1919“ einen ambivalenten Eindruck hinterlässt.
Außerdem taucht der Name „William Rogers“ im Text auf, der in der Amtszeit von Richard Nixon zwischen 1969 bis 1973 Außenminister der USA war. Damals fanden in Paris die Friedensverhandlung zur Beendigung des Krieges in Vietnam statt, bei denen auch Rogers eine Rolle spielte.
Sympathie mit der verlorenen Generation?
Auf dem Cover des Albums sitzt John Cale im weißen Anzug in einem Lehnstuhl. Nachdenklich schaut er in die Kamera, mit seiner linken Hand stützt er sein Gesicht leicht ab. Er wirkt wie ein Intellektueller in Paris nach dem Ersten Weltkrieg. In dieser Haltung drückt sich vermutlich seine Sympathie mit der „Lost Generation“ aus, also dem „verlorenen Jahrgang“ von Amerikanern, die am Krieg teilgenommen und sich später in der französischen Hauptstadt angesiedelt haben wie Ernest Hemingway oder F. Scott Fitzgerald.
Auf dem Cover ist Cale allein abgebildet, was seine Funktion als Komponist, Texter und Sänger der Lieder unterstreicht. Mit dem Hinweis auf Paris stellt sich Cale in die Tradition des Chansons. Gleichzeitig bezieht er sich auf die amerikanische Variante dieser Autorenmusik, auf den Singer-Songwriter, der vor allem in den Sechzigerjahren populär geworden ist. In diesen Kontext gehört auch sein Verhältnis zu Leonard Cohen, von dem er den Song „Hallelujah“ übernommen hat.
Reduzierte Spielweisen der Minimal Music
Cale, der 1942 in Wales geboren wurde, studierte Musik in London, bevor er 1963 nach New York ging. In den USA traf er auf Komponisten wie John Cage, Terry Riley oder auch La Monte Young, deren minimalistische Ausdrucksformen er in die Rockmusik einbrachte. Diese reduzierten Spielweisen finden sich auch in dem Lied „Paris 1919“ wieder. Fast während des gesamten Stücks werden die Akkorde in Achtelnoten angeschlagen. Die Tonart ist C-Dur, der Sound ist also klar, hell und einfach.
Dieser fröhliche Charakter des Klangs steht im Kontrast zu den vorgenannten historischen Bezügen des Liedtextes. Zwei Jahre zuvor hatte Cale mit Terry Riley zusammen das Album „Church of Anthrax“ veröffentlicht. Der amerikanische Vertreter der Minimal Music publizierte 1964 das Stück „In C“, wo er einerseits mit der Tonart C-Dur und andererseits mit Achtelnoten experimentierte. Aber auch in dem Song „I’m waiting for the Man“, das Cale mit der Band The Velvet Underground 1967 veröffentlichte und von Lou Reed geschrieben wurde, sind diese durchgängig angeschlagenen Akkorde in Achtelnoten zu hören.
Dramaturgische Songspannung
Der Übergang von der klassischen Komposition zur Rockmusik zeigt sich bei Cale vor allem in der konsequenten Anwendung von Strophe und Refrain, die in „Paris 1919“ deutlich wird. Der Song ist gut vier Minuten lang; ungefähr in der Mitte kommt es zu einer freien Passage mit Klavier, Holzbläsern und Vogelstimmen. Aber Cale hat das Lied bündig komponiert, die Strophen erzeugen eine dramaturgische Spannung, die sich in den wiederkehrenden Versen entlädt, frei nach dem Ausspruch „Don’t bore us, get to the chorus“ („Langweile uns nicht und komm zum Refrain.“) von Berry Gordy, den Cale in einem Interview zitiert.
Irische und schottische Tradition?
Auf die Differenz zwischen dem heiteren Charakter der Musik und dem problematischen historischen Hintergrund des Textes weist Cale in seiner Autobiographie hin. Über das Album von 1973 schreibt er: „’Paris 1919’ was an example of the nicest ways of saying something really ugly“, also „ein Beispiel für die schönsten Möglichkeiten, etwas wirklich Hässliches zu sagen“. In diesem Zusammenhang spricht er bei dem Lied von einem „lilting refrain“; gemeint sind die geträllerten Worte „la la la“, die in den wiederkehrenden Versen zu hören sind. Dies wiederum spielt auf die irische und schottische Tradition des Singens an, bei der die Silben auf melodiöse und rhythmische Art miteinander verbunden werden.
Drei Fassungen von „Paris 1919“ bleiben in Erinnerung. Natürlich die erste Version auf dem Album von 1973, bei der Klavier, Streicher und Bläser zu hören sind. Die einzelnen Instrumente sind teilweise kaum voneinander zu unterscheiden. Klavier und Violinen spielen die Akkorde in Achtelnoten und klingen dabei ähnlich. Die markante Melodie im Bass wird zuerst von den Celli umgesetzt, dann aber von den Blechbläsern übernommen, wahrscheinlich von den Hörnern. Cale muss das Lied ursprünglich auf dem Klavier komponiert und dann später die Instrumente ausgesucht haben, die das Piano ersetzen und ergänzen können.
Eindrucksvoll ist die Konzertaufnahme auf dem Album „Fragments of a Rainy Season“ von 1992. Hier spielt Cale den Song nur auf dem Klavier, hämmert die Akkorde in die Tasten, singt das Lied schneller als auf dem Tonträger von 1973. Beim Mitschnitt des Konzerts in der Reihe „Rockpalast“ vom 14. Oktober 1984 in der Grugahalle in Essen tritt er zusammen mit einer Band auf. Neben dem Klavier sind auch E-Gitarre, Bass und Schlagzeug zu hören. Das Lied verwandelt seinen Charakter – der Popsong wird zur Rockmusik.
John Cale sieht in seiner Autobiographie Parallelen zu Lou Reed, der sich Anfang der Siebzigerjahre musikalisch mit Berlin beschäftigte, unter anderem hinweisend auf die Mauer, die 1961 gebaut wurde. In einem Interview von 2010 sagt der walisische Musiker, dass er „Paris 1919“ zur Zeit des Kalten Krieges geschrieben hat. Einen Ausgangspunkt für diese historische Entwicklung sah er im Versailler Vertrag von 1919. Die Bezüge zu Lou Reed ergeben sich auch durch die ähnlichen Themen in den Songs „Berlin“ von 1972 und „Paris 1919“. In beiden Fällen spielen Liebesbeziehungen eine Rolle. Cale verzichtet in seinem Lied auf eindeutige Aussagen. Die einzelnen Verse sind voller Anspielungen, erzeugen aber zusammen keinen Kontext, der aufgeschlüsselt werden kann. Die Zeile „You’re a ghost“ im Refrain könnte auch auf den Sinn des Textes anspielen, der sich wie „Geist“ einer strikten Festlegung entzieht.
Paris 1919
She makes me so unsure of myself
Standing there but never talking sense
Just a visitor you see
So much wanting to be seen
She’d open up the door and vaguely carry us away
It’s the customary thing to say or do
To a disappointed proud man in his grief
And on Fridays she’d be there
And on Wednesday not at all
Just casually appearing from the clock across the hall
You’re a ghost, la la la la la la la la la
You’re a ghost, la la la la la la la la la
I’m in the church and I’ve come
To claim you with my iron drum
la la la la la la
The Continent’s just fallen in disgrace
William William William Rogers put it in its place
Blood and tears from old Japan
Caravans and lots of jam and maids of honor
singing crying singing tediously
You’re a ghost, la la la la la la la la la
You’re a ghost, la la la la la la la la la
I’m the bishop and I’ve come
To claim you with my iron drum
la la la la la la
Efficiency efficiency they say
Get to know the date and tell the time of day
As the crowds begin complaining
How the Beaujolais is raining
Down on darkened meetings on the Champs Elysée
You’re a ghost, la la la la la la la la la
You’re a ghost, la la la la la la la la la
I’m the bishop and I’ve come
To claim you with my iron drum
la la la la la la
You’re a ghost, la la la la la la la la la
You’re a ghost, la la la la la la la la la
I’m the bishop and I’ve come
To claim you with my iron drum
la la la la la la
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