Als an diesem heißen Mittwochnachmittag VW-Betriebsratschefin Daniela Cavallo an der „Wache Sandkamp“ vor ein Dutzend Kameras tritt, um Vorstandspläne von Werkschließungen und das Ende des Kündigungsschutzes zu kommentieren, steht Luigi still und unauffällig hinter dem Medientross.
Was kaum jemand weiß, weil Journalisten bei der Betriebsversammlung nicht zugelassen waren: Nur kurz zuvor stand der 50-Jährige ganz vorn vor 25.000 VW-Arbeitern, um VW-Chef Oliver Blume und seinen Managern mit einem Megafon Parolen der Empörung entgegenzubrüllen. Sie saßen direkt vor ihm an einem Tisch.
„Stehen auf der Liste unbeliebter VW-Mitarbeiter ganz oben“
Dass Luigi Catapano ganz vorn stand, ist kein Zufall. Als Vertrauensmann im VW-Stammwerk in Wolfsburg ist er einer von zwölf Mitgliedern der „Vertrauenskörperleitung“, die für die IG Metall als Nahtstelle zum Betriebsrat fungiert.
„Wir stehen beim Unternehmen auf der Liste der unbeliebtesten Mitarbeiter sicher ganz oben“, witzelt er nach der Pressekonferenz bei 30 Grad im Schatten, zieht sich sein schwarzes Base-Cap über den schwarzen Haaren zurecht – und grinst.
Schon Catapanos Vater und Großvater arbeiteten bei VW – und nun auch sein Sohn
Nicht nur als Vertrauensmann kann der zweifache Vater auf viel Erfahrung im Konzern zurückblicken. „Luigi“, was auch auf seinem schwarzen IG-Metall-Shirt steht, arbeitet seit mehr als 25 Jahren bei VW – nach seinem Vater und Großvater bereits in dritter Generation.
Einer seiner Söhne ist seit sechs Jahren sogar der erste Catapano der 4. Generation. Und Luigis Karriere bei VW, dem nach Toyota seit kurzem nun nur noch zweitgrößten Autokonzern der Welt, ist ein schönes Beispiel, wofür VW bei der Belegschaft stand. Bislang zumindest.
Als Sohn neapolitanischer Eltern 1974 in Offenburg geboren, zog der kleine Luigi zwei Jahre später mit seiner Familie nach Wolfsburg. „Mein Großvater Peppino war 1968 hierhergekommen. 1976 machte mein Vater dann einen ‘Abstecher’ nach Wolfsburg, um Familienmitglieder zu besuchen und ein bisschen Geld zu verdienen. Daraus sind dann 40 Jahre VW geworden.“
Das Gehalt bei VW sei schon damals sehr hoch gewesen. Das galt auch für Nachtzuschläge. „Mein Vater wusste, dass er mit einfacher Bandarbeit nirgendwo mehr Geld verdienen konnte. Er fing sofort mit den Nachtschichten an und konnte sich so schon wenig später eine größere Wohnung leisten.“ Die Familie habe immer einen neuen Wagen gehabt, sagt Catapano – einen VW natürlich.
Wenn Dividenden ausgeschüttet wurden, habe Papa Vincenzo oft einen neuen Fernseher gekauft. „Wir sind jedes Jahr sechs Wochen nach Neapel im Sommer gefahren – mit einem Zug, den VW für einen fast symbolischen Ticketpreis von Wolfsburg bis nach Palermo und zurückfahren ließ. Und wir konnten uns dort alles leisten.“
Zum 25. VW-Dienstjubiläum zwei Tage frei und doppeltes Gehalt
Die Eltern kehrten laut dem VW-Mitarbeiter 2016 wieder nach Neapel zurück. Dort legten sie schon früh das verdiente Geld in Grundstücke und Häuser an und genießen nun eine gute Rente, sagt er. Luigi, der eine Deutsche heiratete, blieb mit seiner Familie in Wolfsburg.
„Als ich zehn Jahre bei VW war, habe ich dafür einen Tag freibekommen. Beim 25-Jährigen waren es schon zwei Tage und ein doppeltes Monatsgehalt“, erzählt er, um nur zwei Beispiele für die Großzügigkeit bei den Tarifverträgen zu nennen.
Doch der Anfang war nicht leicht. „Ich wollte schon immer zu VW, mehr Sicherheit und großzügige Zusatzleistungen gibt es nirgendwo. VW hat mich aber nicht sofort genommen.“ Deshalb schob er eine Lehre als Kaufmann dazwischen, die er mit Auszeichnung beendete, wurde Filialleiter bei Aldi. „Und dann“, sagt Luigi Catapano, „kam eines Morgens der Anruf von VW“.
Erster VW-Job: Automatenauffüller
Der Job bei Aldi hat ihm laut eigener Aussage Spaß gemacht, „der Verdienst war gut“. Doch er habe dafür auch 12 Stunden am Tag arbeiten müssen. Bei VW fing der heute 50-Jährige dann im „Wirtschaftsbetrieb“ an.
„Ich kam am ersten Tag im Anzug dort an, die Kollegen haben mich dafür ausgelacht und gesagt: ‘Den brauchst du hier nicht’. Ich habe die erste Zeit damit verbracht, Getränkeautomaten aufzufüllen. Und mehr verdient als als Aldi-Filialleiter und weniger gearbeitet.“
Was folgte, war ein ständiger Aufstieg, der immer bessere Arbeitsbedingungen und immer mehr Gehalt bedeutete. Zuerst mit dem rollenden Kiosk, der den Arbeitern Lebensmitteln und Getränke direkt ans Band brachte. Dann als Hauswart im VW-Gästehaus Rotehof, wo er wieder einen Anzug tragen und dem damaligen Konzernchef Martin Winterkorn gelegentlich mal die Tür aufhalten konnte.
„Manchmal fragte er mich, wer oben im Clubraum saß, und wenn ich sagte, der damalige Betriebsratschef Bernd Osterloh sei dort, antwortete er ‘Ach du Scheiße’ und mied den Raum.“ Bis Luigi Catapano dann nach einem weiteren Abstecher ins zentrale Lebensmittellager erstmals zum Vertrauensmann gewählt und später Mitglied der „Vertrauenskörperleitung“ wurde.
Kündigungsschutz bei VW soll fallen – „niemand konnte sich das vorstellen“
Doch seit Montagabend, als erste Berichte über geplante Sparmaßnahmen des Vorstands an die Öffentlichkeit durchsickerten, ist auch für den langjährigen Mitarbeiter bei VW nichts mehr, wie es mal war.
„Wir wussten schon seit Monaten, dass was im Busch war, nur nicht genau, was. Als wir dann aber erfuhren, dass VW-Chef Blume den seit 1994 garantierten Schutz vor betriebsbedingten Entlassungen aufkündigen und sogar ganze Werke schließen will, da waren wir wirklich alle extrem geschockt. Niemand hätte sich das je vorstellen können.“
Was Luigi Catapano und seine Gewerkschaftskollegen dem Vorstand besonders übel nehmen, ist, dass der Firmen-Vorstand „zum ersten Mal überhaupt“ den Betriebsrat nicht zu Gesprächen gebeten habe, um über ein strukturelles Problem zu reden. Und natürlich gebe es die Einsicht in der Belegschaft, zur Modernisierung des Konzerns einen eigenen Beitrag zu leisten.
Doch mit den angekündigten Sparmaßnahmen habe die Konzernführung sofort die Axt an den Baum angelegt, der die „VW-Familie“ trage. „Da wurde eine Art ‘heilige Kuh’ geschlachtet.“
Gewerkschafter macht vor allem eines wütend
Besonders wütend macht die Gewerkschafter und den Betriebsrat um Daniela Cavallo, dass dem Vorstand außer Sparmaßnahmen nichts einfalle – als Reaktion auf Fehler bei der Umstellung auf E-Autos, die die Unternehmensführung zu einem guten Teil selbst verursacht habe.
„E-Autos wie der E-Up, die hervorragend liefen und dank staatlicher Subventionen für viele erschwinglich waren, wurden eingestellt. Bei anderen wie der ID-Serie gab es hingegen viel zu viele Modelle, die sich nicht verkauften. Die Fehler in der Unternehmensführung häufen sich seit Längerem, und sie merkt nicht, dass sie dabei ist, das Unternehmen gegen die Wand zu fahren“, schimpft Luigi Catapano.
„Die Ampel-Regierung in Berlin trägt zudem ihren Teil zu der Misere bei, indem sie etwa die Strompreise für die Industrie nicht viel stärker subventionierte und Subventionen für E-Autos abgeschafft hat.“ Das alles, sagt er, habe die Krise in der Autoindustrie verschärft.
Betroffenheit beim VW-Vorstand, Tränen und Gänsehaut bei den Gewerkschaftern
Wie wenig sich der Vorstand der eigenen Fehler bewusst sei, habe er gemerkt, als Vorstandschef Oliver Blume bei der Betriebsversammlung die Belegschaft mit den Worten „Liebe Kollegen und Kolleginnen“ angesprochen habe.
Er wurde dafür minutenlang ausgepfiffen und ausgebuht. „Ich war ja direkt vor ihm. Der hat gar nicht verstanden, dass er wegen der Gleichmacherei durch das Wort ‘Kollegen’ ausgebuht wird“, wundert sich der IG-Metaller.
Als er und seine Gewerkschaftskollegen Blume und den anderen Managern die Parole „Wir sind Volkswagen, ihr seid es nicht“ als Reaktion auf die Anrede entgegengeschmettert hätten und ein immer größerer Teil der 25.000 Beschäftigten in den Chor eingestimmt habe, sei die Stimmung an den Tischen schlagartig umgeschlagen, berichtet Luigi Catapano.
Blume und seine Manager hätten sichtlich getroffen reagiert auf den lautstarken Protest der Menge. „Und Daniela, die ja neben dem Vorstand saß und sich mit ihren Mitstreitern zunächst gar nicht sicher war, ob sie die Massen der Belegschaft für ihre Kritik an der Konzernführung würde mobilisieren können, standen Tränen in Augen, als sie verstand, mit welchem Druck die Belegschaft hinter ihr steht.“
Viele Gewerkschafter hätten feuchte Augen bekommen, viele Gänsehaut gehabt.
„Dieses Herz hat der Vorstand nun gebrochen“
Wie sehr dieser „besondere Familiensinn“ die VW-Belegschaft bislang zusammengehalten habe, erklärt Luigi Catapano am Schluss mit einer Bemerkung zu den Wochendschichten.
Diese Schichten seien zwar nötig, damit die Produktion an den Wochenenden nicht stillstehe, und sie sei verpflichtend. Aber sie seien eben auch „extrem belastend“, was das Familienleben der Beschäftigten angehe.
Doch da die Zusammenarbeit zwischen Vorstand und Betriebsrat bei VW „bislang am Ende immer gut funktionierte“, hätten die Schichtarbeiter diese Verpflichtung als selbstverständlich angesehen. „Die Wochenendschichten haben die Beschäftigten mit Herz gemacht. Und dieses Herz hat der Vorstand nun gebrochen.“
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