Sie werden 80 Jahre alt. Gelassenheit gilt als Weisheit des Alters. Wie gelassen sind Sie, Herr Messner?
REINHOLD MESSNER: Ich bin gelassener als früher. Aber das ist noch kein Maß, denn ich war nicht immer gelassen. Ich hatte auch jeden Grund, nicht gelassen zu sein.
Womöglich auch jetzt, Sie haben Ihren Kindern einen Großteil Ihres Vermögens übereignet und beklagen nun, dass sie Ihre Großzügigkeit nicht wertschätzen. Es sieht aus, als sei das Tischtuch endgültig zerschnitten. Schmerzt Sie das als Vater?
MESSNER: Nein, ganz einfach. Dazu ist alles gesagt. Das ist meine private Angelegenheit. Den Familienmitgliedern ist ein Auskommen garantiert bis zum Lebensende. Mehr Verantwortung im praktischen Sinne hatte ich nicht.
Sie sind nicht mehr dabei bei abendlichen Gesprächen in Schloss Sigmundskron und das geplante Museum bei Sexten soll nicht mehr zum Verbund der Messner Mountain Museen gehören. Warum?
MESSNER: Weil das Messner Mountainmuseum eine runde Sache ist, ein Museum, das keiner weiteren Ausdehnung bedarf. Und es braucht mich nicht mehr. Aber ich bin – begleitet von einer jungen Frau, die mich beflügelt – immer noch jung genug, um Neues zu wagen.
In den Medien wird viel spekuliert, auch darüber, ob diese junge Frau an Ihrer Seite etwas mit der Entfremdung zu Ihren Kindern zu tun hat…
MESSNER: Was die Medien spekulieren, ist mir völlig unwichtig. In meinem Buch habe ich dieser Sache zwei Seiten gewidmet, um es nicht zu verschleiern, um es nicht zu verstecken, um mit allem, was ich getan habe, offen zu sein. Aber diesen zwei Seiten ist nichts hinzuzufügen.
In Ihrem Buch schreiben sie auch über private Rückschläge, wie die Trennung von der Mutter Ihrer Kinder, Sabine Stehle. Ihr werfen Sie vor, Sie entsorgt zu haben. Wie muss man sich das vorstellen?
MESSNER: Dieses Wort, das den Leuten nicht gefällt, ist genau nach der Etymologie, was mir passiert ist. Entsorgt. Sie hat sich der Sorgen, die sie für einen alternden Mann, der vielleicht krank werden könnte, entledigt, entsorgt. Das sagt dieses Wort. Und das ist ihr gutes Recht.
Sie haben 2021 zum dritten Mal geheiratet. Erst Uschi Demeter, dann Sabine Stehle und jetzt Diane Schumacher…
MESSNER: Ich hätte es mir nie vorstellen können. Für mich war immer klar: Ich lebe bis zum Lebensende mit einer Frau. Aber es wurden dann drei, und dabei wird es bleiben. Es wird ja immer schwieriger für eine Frau, mit mir zu leben. Weil ich immer älter werde und damit auch gebrechlicher, schwieriger und noch ungeduldiger als ich früher schon war. Aber ich bemühe mich.
Vielleicht sind Sie auch ein wenig altersmilde geworden. Früher konnten Sie sehr schnell sehr wütend werden.
MESSNER: Alles hat natürlich seinen Hintergrund gehabt. Haben Sie vielleicht die Geschichte nachgelesen über den Versuch von Walter Pause, mich mundtot zu machen – als Schreiber? Ich habe seine Briefe ja erst in jüngerer Zeit vom Verlag gekriegt. Wenn es ihm gelungen wäre, mir das Schreiben unmöglich zu machen, hätte ich nicht weitermachen können. Denn mein Konzept sah ja so aus: Expeditionen machen, heimkommen, eine Geschichte schreiben, ein Buch oder auch einen großen Artikel. Damit finanzierte sich dann die nächste Expedition. Und dann der Deutsche Alpenverein, der mich total ausgegrenzt hat. An dem, was um mich als Gegenwind aufkam, bin ich nicht zerbrochen. Ich glaube aber nicht, dass viele dem Stand gehalten hätten.
Auch jetzt werden Sie die Füße nicht ruhig halten. Zum 80. Geburtstag gehen sie auf Jubiläumstour, wie zu lesen ist?
MESSNER: Ich weiß nichts von einer Jubiläumstour. Wahrscheinlich wird die nächste Vortragstour so verkauft. Der Geburtstag findet am 17. September statt, es gibt keine Geburtstagsfeier. Wir haben entschieden, meine Frau und ich, allein auf einer alten Hütte zu feiern, später irgendwo zum Essen zu gehen. Auf dem Weg besuche ich zwei Freunde. Unsere Geburtstagsfeier wird ein Jahr lang dauern, einmal mit drei Freunden hier, einmal mit drei Bekannten dort. So habe ich dann Zeit für die einzelnen Menschen, Freunde, Bekannte, Partner. An diesen großen Geburtstagen mit 100 Leuten und mehr hat man für niemanden Zeit. Also habe ich mir das diesmal abgeschminkt. Und nachher geht mein Leben weiter, und ich mache eine Vortragsreise wie jeden Herbst. Allerdings sind wir hauptsächlich auf Reisen mit dem Projekt Messner Mountain Heritage. Dabei erzähle ich Geschichten den traditionellen Alpinismus betreffend. Und ich habe den Mut zu sagen, der Alpinismus ist nicht nur Tun, er ist auch das Narrativ dazu, das Erzählen.
Wenn Sie heute in den Himalaya schauen, sind dort ganze Karawanen unterwegs. Was hat das noch mit traditionellem Alpinismus zu tun?
MESSNER: Also zuerst einmal bin ich jetzt in dieser Sicht auf diese Welt, die ich schon länger kritisch beschrieben habe, sehr offen und locker. Alles hat sich in den letzten 30 Jahren radikal verändert. Das, was früher das Abenteuer Fels war, das Klettern an den Dolomitenwänden, ist heute Sport. Das findet in der Halle statt, ist olympisch geworden, ein großartiger Sport. Aber mit Natur hat das nichts mehr zu tun. Das ist alles legitim und gut. Die anderen Bergsteiger, die früher mit Seil und Haken und Pickel auf irgendwelche Alpenwände kletterten, die sind im Verschwinden. Aber die Touristen in den berühmten Bergen – Matterhorn, Mont Blanc, Denali, Aconcagua, Everest – die buchen im Reisebüro eine Passage, all inclusive vom Basislager zum Gipfel und zurück. Denen geht es nicht um das Erlebnis, denen geht es nicht um die Natur, denen geht es um Prestige. Alles nachvollziehbar! Das ist teuer geworden, ja. Bisher war die höchste Summe, die jemand ausgegeben hat, um den Everest auf diese Weise zu besteigen, sechs Millionen.
Und dafür darf man als Bergtourist einiges erwarten?
MESSNER: Im Basislager sind sechs Helikopterlandeplätze. Es geht zu wie im Privatflughafen in München. Viele fliegen inzwischen bis auf die Bergmitte und steigen dann hinauf. Das ist zwar nicht geduldet, aber es wird trotzdem gemacht. Der Tourist geht dorthin, wo eine Infrastruktur ist, und die Infrastruktur am Everest ist viel hilfreicher als der Sauerstoff. Ich bin seit 40 Jahren der einsame Rufer in der Wüste, und dann heißt es, ich habe den ganzen Humbug angeleiert. Also ich habe von Anfang an dagegen angeschrieben. Jetzt beobachte ich es und gehe umgekehrt vor. In meinen letzten Jahren, mit meinen letzten Möglichkeiten will ich die Welt bereisen und überall erzählen, was traditioneller Alpinismus ist, der nicht untergehen darf.
Allerdings macht der Klimawandel auch vor den höchsten Gipfeln nicht Halt. Ist Bergsteigen heute gefährlicher als zu Ihrer Zeit?
MESSNER: Ja, es ist gefährlicher geworden. Das Eis kommt herunter. Am Fuß der Berge schwindet es relativ schnell. In Südtirol hatten wir einen schneereichen Frühling, und einige der Gletscher, die schon verschwunden waren, sind wieder weiße Flächen geworden. Doch dann kam dieser August, ich war gerade wieder am Ortler und habe hinauf geschaut. Ich kann nur sagen, das Eis hält nicht mehr lange. Es geht jetzt galoppierend schnell. Aber das Schlimmste in diesem Zusammenhang ist nicht das Zerbrechen der Seracs, der Türme aus Gletschereis, oder der Steinschlag. Das Schlimmste ist der Verlust des Permafrosts. Nicht wie in Sibirien, bei uns ist es ein ganz anderes Phänomen. In den Alpen brechen Stücke herunter groß wie Wolkenkratzer. Das hat es früher nicht gegeben. Das kommt heute dort, wo der Mensch gesiedelt hat. Viel kommt auch auf die Straßen, auf die Höfe. Wir haben ja früher gebaut in dieser naiven Anwandlung, da kommt schon nichts. Aber jetzt kommt es runter. Und ich glaube, die letzte Phase vorher, wo Ähnliches passiert ist – Abgänge von Muren und von großen Felswänden – war vor 5300 Jahren, als Ötzi lebte. Das ist nur eine Theorie, die habe ich noch nirgends gelesen. Aber ich vermute es. Denn jetzt fällt mir plötzlich auf: da liegen Trümmer, größere Felsbrocken. Wann sind die runtergekommen? In der Diskussion über den Klimawandel wünsche ich mir vor allem erdgeschichtliche Einblicke. Nicht nur Diskussionen darüber, was heute passiert, sondern auch darüber, was in der Erdgeschichte passiert ist. Damit uns klar wird, wie wir uns wappnen müssen für eine Zukunft, die viel schwieriger werden wird als die gestrige Zeit – auch in den Alpen.
Sie haben immer gesagt, Sie gehen bewusst dorthin, wo Sie umkommen könnten, um nicht umzukommen. Wie bewusst ist Ihnen heute, dass das Leben endlich ist?
MESSNER: Sehr bewusst. Aber ich nehme das Leben, das mir noch geschenkt ist, an. Ich habe das große Glück, dass ich eine Partnerin an meiner Seite habe, dass ich nicht alles alleine machen muss. Es ist schwierig, alleine zu altern und dann hinüber zu dämmern in das Jenseits. Ich habe nie erwartet, dass ich 80 Jahre alt werde. Jetzt bin ich 80 Jahre und versuche, die nächste Zeit, vielleicht sogar ein Jahrzehnt, soweit als möglich mit positiven Gedanken zu leben und dabei zu gestalten, wie ich es immer getan habe. Mich hätte man auch umbringen können, wenn man gesagt hätte, okay es ist aus, du sitzt vor dem Haus von früh bis spät und schaust in die Luft oder wartest, bis du einschläfst. Mir ist das Tun wichtig wie der Sauerstoff, auf den ich am Everest verzichtet habe. Dass ich Visionen entwickeln kann, ist mein Glück. Ich habe es ein Leben lang getan und damit mehr oder weniger Erfolg gehabt. Ich will es jetzt im Alter weiter tun – mit Diane.
Wenn Sie auf Ihr Leben zurückblicken, worauf sind Sie besonders stolz?
MESSNER: Stolz ist der falsche Ausdruck. Ich habe Erfahrungen gesammelt. Die Nahtod-Erlebnisse waren die wichtigsten, und diese Erfahrungen sollten nicht brach herumliegen. Deswegen das Mountain Heritage, das geistige Erbe. Das möchte ich, soweit möglich, selbst noch in die Welt tragen, und dann soll es meine Frau verteidigen und weitertragen, auch damit der traditionelle Abenteuer-Alpinismus nicht untergeht. Endlich wage ich eine positive Message, und mit dem Buch möchte ich vor allem den älteren Herrschaften sagen, lasst euch nicht bremsen von Widerständen oder von Schwächen im Alter. Meine Empathie für die alten Menschen ist mit meinem Alter gewachsen. Ich würde ihnen empfehlen, sich nicht zu beschneiden, sich keine Grenzen von außen auferlegen zu lassen, sondern so lange als möglich – und wenn es nur mehr ganz kleine Träume sind, die sie verwirklicht sehen möchten – alles zu wagen. Im Gegenwind kann man besser abheben als ohne. Gegenwind ist, wie bei mir, etwas Erfrischendes, Positives. Also, mein Buch ist ein positives Buch.
Zur Person:
Reinhold Messner ist eine Legende des Alpinismus. Der Südtiroler hat als erster Mensch alle 14 Achttausender der Erde erklommen. Für viele Bergsteiger ist er ein Vorbild, doch am heutigen Alpinismus übt Messner Kritik. Ende August ist sein neues Buch „Gegenwind“ erschienen, darin reflektiert er Freundschaften und Intrigen, alpinistische wie private Höhepunkte und Rückschläge. Am 17. September wird Messner 80 Jahre alt.
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