Wahlen in Österreich: Wie die Nationalratswahlen ablaufen

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In Österreich wird an diesem Sonntag in Nationalratswahlen über die Politik in den nächsten fünf Jahren abgestimmt. Große Beachtung findet in Deutschland vor allem das Abschneiden der FPÖ, der Partnerpartei der AfD. Der FPÖ-Vorsitzende Herbert Kickl möchte gern „Volkskanzler“, wie er es nennt, werden. Auch Amtsinhaber Karl Nehammer (ÖVP) und Andreas Babler (SPÖ) machen sich Hoffnungen darauf, die nächste Regierung anzuführen. Bis man weiß, wer tatsächlich künftig Bundeskanzler in Wien ist und mit welchen Parteien dieser regiert, könnte es noch ein paar Monate dauern.

Was wird überhaupt gewählt?

6,3 Millionen Wahlberechtigte sind aufgerufen, über die Zusammensetzung der maßgeblichen Parlamentskammer, des Nationalrats, abzustimmen. Um die 183 Sitze bewerben sich neun Parteien, die bundesweite Wahlvorschläge eingebracht haben. Fünf von ihnen sind schon bisher im Parlament vertreten: Die christdemokratische ÖPV, die rechte FPÖ, die sozialdemokratische SPÖ, die Grünen, die liberalen Neos. Ferner stehen auf der Liste: Die kommunistische KPÖ, die ideologisch schwer einzuordnende Bierpartei, die von einer impfskeptischen Ex-Grünen angeführte Liste Madeleine Petrovic sowie die Protestpartei Keine von denen.

Nicht gewählt, eigentlich nicht einmal indirekt, wird der Regierungschef. Denn der Bundeskanzler wird vom Bundespräsidenten ernannt, auf Vorschlag des Kanzlers dann die Minister. Aber natürlich muss das Staatsoberhaupt die Mehrheitsverhältnisse berücksichtigen. Denn ohne Mehrheit im Parlament könnte eine Regierung keinen Haushalt oder sonstige Gesetze beschließen. Und gegen eine Mehrheit könnte sie keine Woche lang bestehen, denn dann könnte sie per Misstrauensvotum durch das Parlament gestürzt werden. Das ist schon einmal geschehen: 2019 nach der Ibiza-Affäre.

Seit Anfang 2023 führt die FPÖ in allen Umfragen. Zwischenzeitlich gingen die Ausschläge sogar teilweise über 30 Prozent. Zuletzt haben sich die „Blauen“ bei etwa 27 Prozent eingependelt (Zahlen nach APA-Wahltrend, der einen nach Aktualität gewichteten Durchschnitt der relevanten Umfragen anzeigt). Gegenüber der letzten Wahl von 2019, die von der Ibiza-Affäre des langjährigen FPÖ-Chefs Heinz-Christian Strache geprägt war, wäre das immer noch ein Zugewinn von satten elf Prozentpunkten. An zweiter Stelle, aber angesichts von Schwankungsbreiten von rund plus/minus drei Prozent nicht abgeschlagen, lag die ÖVP mit knapp 25 Prozent. Das wäre ein Minus von mehr als zwölf Punkten – doch wenn es den Christdemokraten doch noch gelänge, den ersten Platz vor der FPÖ zu behaupten, wie es beinahe bei der Europawahl im Juni gelang, dann wäre das ein „Sturz ins Glück“ (so der Politikberater Thomas Hofer).

Es folgte in den Umfragen die SPÖ mit knapp 21 Prozent. Der dramatische Wechsel im Parteivorsitz von Pamela Rendi-Wagner zum Parteilinken Andreas Babler scheint sich demnach nicht ausgezahlt zu haben. Um den vierten Platz ringen die Neos (zehn Prozent), die gut ein Jahrzehnt nach ihrer Parteigründung endlich regieren wollen, und die Grünen (gut acht Prozent), die in den vergangenen fünf Jahren Juniorpartner der ÖVP waren. Nicht ohne Aussicht auf einen Einzug ins Parlament sind die Bierpartei und die KPÖ, die beide zeitweilig einen Hype in Medien und Umfragen genossen. Allerdings ist, je näher der Wahltag rückte, die in Umfragen gemessene Zustimmung gesunken, zuletzt an oder unter die Hürde von vier Prozent.

Warum ist die FPÖ trotz der Ibiza-Affäre so stark?

Im Mai 2019 wurden Ausschnitte aus einem heimlich auf Ibiza aufgenommen Video bekannt, in dem der damalige FPÖ-Vorsitzende und Vizekanzler der „türkis-blauen“ ÖVP-FPÖ-Koalition, Heinz-Christian Strache, sich politisch um Kopf und Kragen redete. Es ging darum, wie Geld einer vermeintlichen russischen Oligarchennichte so angelegt werden könne, dass sie nicht im Rechnungshofbericht erscheine, aber der FPÖ nütze – und was sie sich dann von einer Regierungspartei FPÖ erhoffen dürfe.

Strache musste zurücktreten, die Koalition zerbrach nach rund zweieinhalb Jahren, Neuwahlen wurden ausgerufen, in denen die FPÖ weit abstürzte. Eine Spesenaffäre Straches belastete seine bisherige Partei zusätzlich. Doch inzwischen hat Strache mit der FPÖ gebrochen und sie mit ihm. Nach einer Übergangszeit unter dem verbindlich auftretenden Norbert Hofer eroberte der frühere Innenminister Herbert Kickl den Parteivorsitz. Der polarisiert geschickt mit scharfen und radikalen Parolen bis hin zu hemmungslosen Beschimpfungen. Damit stößt er zwar beim politischen Gegner und auch medial auf teils scharfe Kritik, aber die FPÖ wurde vom Getriebenen wieder zum Treiber.

Für ihre Anhänger koppelt sie sich medial weitgehend von den herkömmlichen Medien ab, die zwar wie gewohnt unterschiedlich berichten und kommentieren, aber von der FPÖ als einheitlicher „Mainstream“ geschmäht werden. Die FPÖ hat ihr mit geschickter Nutzung sozialer Netzwerke, einem eigenen Internet-TV und anderen weit rechts stehenden Medien ein eigenes Universum geschaffen. Darin wurden dann polarisierende Themen wie die Migration und die Corona-Pandemie so bespielt, dass die FPÖ sich als Anwalt des Volkes gegen eine angeblich abgehobene Elite gerierte. So lautete denn auch der Plakatslogan Kickls: „Der Einzige auf Eurer Seite“.

Hat Kickl Chancen, Kanzler zu werden?

Kaum. Denn wie groß auch immer die Zuwächse für die FPÖ sein werden, von einer eigenen Mehrheit kann keine Rede sein. Eine Koalition mit der FPÖ haben aber alle anderen Parteien ausgeschlossen. Abgesehen davon hat, wie schon erwähnt, der Bundespräsident das entscheidende Wort mitzureden. Und Amtsinhaber Alexander Van der Bellen hat Kickl schon einmal als Minister entlassen – das war bis dahin beispiellos – und hat zumindest indirekt unter Verweis auf sein Gewissen zu erkennen gegeben, dass er keine Neigung hat, ihn nun wieder für welches Amt auch immer „anzugeloben“.

Könnte die ÖVP um der Macht willen umfallen?

Die ÖVP hat sich ein Hintertürchen für Türkis-Blau offengelassen, indem sie bei ihrer Absage von der „Kickl-FPÖ“ sprach. Ihm zur Kanzlerschaft verhelfen will sie keinesfalls. Das wäre auch, abgesehen von möglichen grundsätzlichen Erwägungen, taktisch nicht in ihrem Interesse, auch wenn ÖPV und FPÖ bei vielen Inhalten nicht so weit auseinanderliegen. Denn nach allen realistischen Prognosen kann Nehammer, wenn die ÖVP mindestens auf dem zweiten Platz landet, selbst Kanzler bleiben. Und dass Kickl zurücksteckt, damit eine türkis-blaue Regierung ohne ihn möglich wird, wie es 1999/2000 Jörg Haider getan hat, ist auch nicht zu erwarten, weil Kickl das glaubhaft ausgeschlossen hat. Das wäre „Wählerbetrug“, sagte Kickl, und der Rückzug Haiders damals sei ein schwerer Fehler gewesen. Lieber richtet sich Kickl eine weitere Periode in der Opposition ein und polarisiert weiter gegen eine ideologisch bunte Regierung. Bei der nächsten regulären Wahl 2029 wäre er immer noch erst 60 Jahre alt.

Wer kann dann überhaupt miteinander regieren?

Die Regierungsbildung wird auf jeden Fall sehr schwierig. Die bisherigen Koalitionspartner ÖVP und Grüne, die vor fünf Jahren unter dem Motto „das Beste aus zwei Welten“ angetreten sind, haben sich bis zur Feindschaft auseinandergelebt. Zuletzt hat die ÖVP gegen die grüne Umweltministerin Leonore Gewessler sogar Strafanzeige erstattet – da ging es um die Zustimmung zur EU-Renaturierungsverordnung, der Gewessler trotz eines Nein von Koalitionspartner und Bundesländern zugestimmt hat. Anders als die ÖVP sah die Staatsanwaltschaft darin aber keinen Missbrauch der Amtsgewalt. Ein Bündnis der ÖVP mit der SPÖ wäre zwar keine „große“ Koalition mehr wie einst, als man zusammen Zweidrittelmehrheiten zusammenbrachte. Aber immerhin, wenn die Kleinparteien knapp unter der Vierprozenthürde bleiben, könnte es für die beiden für eine Mehrheit reichen.

Dann aber müssten Christdemokrat Nehammer und Marx-Fan Babler ein gemeinsames Programm finden, ein kniffeliges Sudoku, von dem keineswegs sicher ist, ob es aufgeht. Und wenn zur Mehrheitsbildung noch ein Dritter gebraucht wird, also die Neos oder die Grünen, wird das Inhaltliche noch komplizierter. Die Berliner „Ampel“ ist als Vorbild für eine solche Dreierkonstellation auch nicht sonderlich attraktiv – das gilt auch für den rechnerisch unwahrscheinlichen Fall, dass über SPÖ-Neos-Grün nachgedacht werden könnte. Man muss also mit einem monatelangen Ringen und Fintieren rechnen. Und wenn dann immer noch keine Mehrheit im Parlament in Sicht ist? Dann gibt es Neuwahlen, wobei die kaum eine fundamental andere Konstellation ergeben würden. Oder es passiert etwas ganz anderes. Es wäre schließlich nicht das erste Mal, dass Bundespräsident Alexander Van der Bellen eine Beamtenregierung einsetzt, die von den Nationalratsparteien für eine gewisse Zeit toleriert wird.

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