Oft wird kritisch geäußert, Politik und Kultur und vor allem wichtige Medien hierzulande wären „links“ ausgerichtet. Dass solche Meinungen immer wieder von Leuten aus dem AfD-Spektrum oder jenem der (Werte-)Union geäußert werden, verwundert nicht. Alles, was denen von sich aus betrachtet als „links“ erscheint (also ziemlich viel), muss ihnen gleichsam natürlich als irgendwie „links“ vorkommen. Warum aber wird darüber hinaus häufig verlautbart, es gäbe eine „linke“ Vormacht in den klassischen Medien?
Sozialwissenschaftlich betrachtet, finden sich im journalistischen Feld seit Jahrzehnten stabil deutlich überdurchschnittlich viele Medien-Schaffende, die lebensweltlich, kulturell und politisch vor allem den Grünen zuneigen. Das ist auch kein Wunder, wenn man sich anschaut, wer hierzulande in diesen Beruf strebt: In der Tendenz Leute aus dem Bildungsbürgertum, Lehrerkinder, insgesamt vergleichsweise urbane, insbesondere weibliche Personen. Alles mehr als verständlich und auch kaum ein Problem, solange man diese eigene Herkunft und Perspektive selbstkritisch reflektieren würde. Es also gerade Medienschaffenden klar wäre, dass die „Journalismus-Blase“ keinesfalls Abbild der sonstigen Gesellschaft ist. Und dass ihr Berufsfeld ein besonders homogenes ist. Weit entfernt von echter Repräsentation der gesamten Gesellschaft in ihrer wirklichen Vielfalt und Widersprüchlichkeit.
Michael Kappeler/picture alliance/dpa
Was wirklich „links“ ist
Was wiederum die „Bündnisgrünen“ mittlerweile insbesondere als Regierungspartei machen, hat mit „links“ wenig bis gar nichts (mehr) zu tun, im Gegenteil. Und bei der SPD ist es ähnlich: Statt Klimagerechtigkeit und Kapitalismuskritik jetzt neo-liberales Green Washing im Sinne großer Konzerne, statt Friedenspolitik nun gut gemeinte Kriegsrhetorik, statt globaler Solidarität ein inklusiver Nationalismus (statt des exklusiven Nationalismus von AfD, Union und Co.), statt sozialer Wohlfahrt und eines guten, entspannten Lebens für alle nunmehr vermeintlich progressive, zunehmend autoritäre Kulturkämpfe. So ein Programm ist nicht klassisch-„links“.
„Links“ im Sinne einer „neuesten Linken“, wie es z.B. Lukas Meisner in seinem Buch „Medienkritik ist links“ auf den Punkt bringt, bedeutet hingegen: Eine Linke im Sinne eines kritischen Marxismus und demokratischen Sozialismus orientiert auf Aufhebung der Klassengesellschaft, auf Vergesellschaftung wichtiger Produktionsmittel. Sie ist damit, sorry, nachhaltig sozial, ökologisch, friedlich, feministisch, antirassistisch und für den Schutz aller Minderheiten. Oder um Lukas Meisner zu zitieren: Diese neueste Linke sei „universalistisch, weil sie emanzipatorische Vernunft verkörpert und die 99 Prozent vertritt – als Stimme der unterdrückten Bedürfnisse will sie diese erfüllt sehen in rationaler Gesellschaft“.
Anpassungsfähigkeit in Verlagen
Von „links“ in einem solchen modernen, gehaltvollen Begriff sind Bündnisgrüne und SPD noch viel weiter entfernt als von der ansatzweisen Erfüllung ihrer Bundestags-Wahlprogramme von 2021. Um es vorsichtig zu formulieren: Vielleicht wäre selbst „links-liberal“ mittlerweile schon zu viel gesagt.
Zurück zu den vermeintlich „linken“ Medien: Was insbesondere Leitmedien eint, nicht nur hierzulande, ist eine neo-liberale Gesamttendenz. Pro-kapitalistisch und pro-westlich-demokratisch.
Insgesamt ist, was bereits Pierre Bourdieu im vorigen Jahrhundert überzeugend herausgearbeitet hatte, die Anpassung, der Opportunismus im journalistischen Feld relativ stark ausgeprägt. Das liegt auch an oft prekären Arbeitsverhältnissen in Verlagen und Redaktionen. Und am Allroundertum.
Wolfgang Kumm/dpa
Der Gleichklang des Status quo
Fragen wir uns, woher leitmediale Zuspitzung, woher regierungsnahes Umkippen, woher die Entkopplung von veröffentlichter Mainstream-Meinung und öffentlichen Meinungen vieler Menschen kommt (siehe etwa Pro-Geflüchtete-Haltung im Herbst 2015, siehe Anti-„Coronaleugner“-Kampagne 2020 bis 2022, siehe Anti-„Putinknecht“-Slogans seit 2022), lässt sich festhalten, dass dies kaum „von oben angeordnet“ wird, sondern – strukturell vermittelt – viel mehr horizontal als vertikal passiert. Man schaut halt, was die Kolleginnen und Kollegen so machen. Und in der Konkurrenz zu bestehen.
Um den Kreis zu schließen: Wenn, dann lassen sich viele wichtige Medien, was die dortigen Medienschaffenden angeht, als „bündnisgrün“ (also der Nato zugewandt) und eben nicht als „links“ labeln bzw. kritisieren. Die Bündnisgrünen regieren im Bund und in manchen Ländern mit – da kommt eins zum anderen. „Grüne“ Macht von „oben“ und „grüne“ Anpassungsbedürfnisse in den Redaktionen von „unten“.
Damit sei hier nun zum Schluss eine ganz alte Platte aufgelegt (auch von Lukas Meisner). Das Problem ist, wie schon George Orwell in seinem Text „The Freedom of the Press“ im Jahre 1943 wusste, die leitmediale „Grammophon-Mentalität“: „In diesem Land ist die intellektuelle Feigheit der schlimmste Feind, dem ein Schriftsteller oder Journalist gegenübersteht (…). Der Austausch einer Orthodoxie gegen eine andere ist nicht unbedingt ein Fortschritt. Der Feind ist die Grammophon-Mentalität, unabhängig davon, ob man mit der Platte, die gerade gespielt wird, einverstanden ist oder nicht.“
Der Gleichklang des Status quo stellt sich nämlich am leichtesten von selbst her, sofern Medienschaffende dieselbe Schallplatte, in freiwilligem Gehorsam, nicht nur sich selbst auferlegen, sondern sie auch für ihre Publika auflegen. Gerne in Endlosschleife. Bis die nächste Platte angesagt wird – oder ist. Und man zudem nicht mal merkt, falls diese Platte einen Sprung hat. Vielleicht schon immer.
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