Die Deutsche Parlamentarische Gesellschaft (DPG) ist ein geheimnisvoller Verein. Aus der exklusiven Runde dringt selten etwas nach außen. Das ist so gewollt: Gegenüber dem Reichstagsgebäude, im ehemaligen Berliner Reichstagspräsidentenpalais, treffen sich deutsche Abgeordnete aus der Europa-, Bundes- und Landespolitik zum vertraulichen Austausch. Diskretion ist erwünscht, Gäste dürfen nur auf Einladung eintreten.
Man will einander verstehen lernen, über Parteigrenzen hinweg. Während der politische Wettstreit oft unerbittlich ist, ein Gegeneinander in Parlamenten und Talkshows, unterhalten sich die Mitglieder in elegantem Ambiente, essen, trinken und rauchen gemeinsam, lernen die Konkurrenz kennen.
Für die nächste Mitgliederversammlung steht jedoch ein Punkt auf der Tagesordnung, der das Vereinsleben aufwirbeln könnte. Er betrifft die bayerische AfD-Bundestagsabgeordnete Gerrit Huy. Das Programm für die Veranstaltung am 27. November liegt der Berliner Zeitung vor.
Auf Correctiv-Recherche folgten Demos
Geht es nach dem DPG-Vorstand, soll die Politikerin aus dem Verein ausgeschlossen werden. Das Gremium begründet seine Entscheidung nach Informationen dieser Zeitung mit Huys Teilnahme am sogenannten Potsdam-Treffen und den anschließenden Großdemonstrationen in Deutschland. Das geht aus einem Schreiben hervor, das der DPG-Präsident und SPD-Bundestagsabgeordnete Stefan Zierke an Huy sendete. Es ist auf den 24. April datiert.
In einer Potsdamer Villa hatten sich am 25. November 2023 unter anderem Mitglieder der AfD, der CDU und der Werteunion getroffen. Auch Huy war vor Ort. Dort soll der Österreicher Martin Sellner, das Gesicht der rechtsextremen Identitären Bewegung, seinen „Masterplan zur Remigration“ vorgestellt haben. So berichtete es im Januar das Medienhaus Correctiv in einer aufsehenerregenden Recherche. Demnach wurde in der Villa darüber gesprochen, Millionen von Menschen mit Migrationshintergrund zu vertreiben, darunter auch deutsche Staatsbürger. In den folgenden Wochen protestierten Hunderttausende gegen die beschriebenen Vertreibungspläne.
Mit der Zeit wurde allerdings Kritik an der Recherche laut – und zwar nicht nur aus konservativen und rechten Kreisen. Correctiv hatte den Bericht ausgiebig mit eigener Meinung aufgeladen. Einiges blieb unklar. Auch garnierte das Medienhaus seine Erkenntnisse mit Verweisen auf die Wannseekonferenz und die von den Nationalsozialisten geplanten Deportationen von Millionen Juden nach Madagaskar. Assoziationen, die das tatsächliche Geschehen aufbauschten und zur öffentlichen Empörung beigetragen haben dürften.
Mehrere Teilnehmer des Treffens gingen rechtlich gegen die Berichterstattung vor, die von vielen Medien aufgegriffen wurde. Teilweise waren sie erfolgreich. So untersagte etwa das Hanseatische Oberlandesgericht dem NDR, „in Bezug auf“ den Verfassungsrechtler Ulrich Vosgerau zu berichten, dass in der Villa über eine Ausweisung von Staatsbürgern diskutiert worden sei. Die AfD-Politikerin Huy scheiterte mit einer Anzeige. Sie wollte „Zugang zu eventuellen Ton- und Bildaufzeichnungen“ erhalten.
Stefan Zeitz/imago
DPG: Ansehen „in grober Weise beschädigt“
In seinem Schreiben an Gerrit Huy bezieht sich der DPG-Präsident auch auf die öffentliche Wahrnehmung der Berichterstattung. In einer Sitzung am 24. April habe der Vorstand „einstimmig beschlossen, Sie aus der Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft auszuschließen“. Huy habe „unstreitig an dem Treffen mit Vertretern der Identitären Bewegung“ teilgenommen. Dieses habe zu Großdemonstrationen geführt, „auf denen gegen die auf dieser Veranstaltung vertretenen Thesen und gegen die Teilnehmer an der Veranstaltung demonstriert wurde“.
Weiter schreibt Stefan Zierke an die AfD-Bundestagsabgeordnete: „Die öffentlichen Reaktionen auf die Veranstaltung“ seien „Gegenstand intensiver Berichterstattung im In- und Ausland gewesen und deshalb auch von Mitgliedern ausländischer Parlamente und gleichgearteten Gesellschaften des Auslands zur Kenntnis genommen worden“. Allein durch ihre Teilnahme an dem Treffen und eine ausbleibende freiwillige Distanzierung habe Huy das Ansehen der DPG „in grober Weise beschädigt“. Eine andauernde Mitgliedschaft sei mit der Vereinssatzung unvereinbar.
Die angebliche Beschädigung des Ansehens scheint ein zentraler Grund für das Vorstandsvotum zu sein. Dem Verein und seinen Mitgliedern sei nicht zumutbar, Teilnehmer des Potsdam-Treffens „in ihren Reihen zu haben“. Weiterhin unterhalte die DPG Beziehungen zu Abgeordneten ausländischer Parlamente und Gesellschaften. Eine andauernde Mitgliedschaft Huys würde demnach „die Erfüllung dieses Vereinszwecks erschweren und wäre weder den Mitgliedern noch der deutschen und internationalen Öffentlichkeit noch befreundeten ausländischen demokratischen Parlamenten vermittelbar“.
AfD-Abgeordnete Huy hat Berufung eingelegt
Als Abgeordneter wird man nicht automatisch Mitglied der DPG. Interessenten müssen einen Antrag auf Aufnahme stellen. Der Verein wird durch Mitgliedsbeiträge und Staatsgeld finanziert, im laufenden Jahr soll er 2,7 Millionen Euro aus dem Etat des Bundestags erhalten. Das geht aus dem Entwurf für das Haushaltsgesetz hervor. Im vergangenen Jahr waren es demnach 2,4 Millionen Euro. Derzeit dürfte der Verein rund 2000 Mitglieder haben, heißt es aus DPG-Kreisen. Vor einiger Zeit berichtete das Portal The Pioneer, „wie Lobbyisten, Wirtschaftsbosse und Berater die noble Gesellschaft“ bereits ausgenutzt haben sollen.
Seit 2022 ist der Sozialdemokrat Zierke der Präsident des Parlamentarierclubs. Neben ihm hat die DPG mehrere Vize-Präsidenten, die aus anderen Bundestagsfraktionen kommen, jedoch nicht aus der AfD. Dann gibt es noch Beisitzer, einen Schatzmeister. Nach Informationen der Berliner Zeitung haben nicht alle stimmberechtigten Vorstandsmitglieder an der Abstimmung zu Gerrit Huy teilgenommen.
Endgültig ist Huys Ausschluss aber noch nicht. Die AfD-Abgeordnete hat Berufung eingelegt, die Vereinssatzung lässt das zu. In einem Anwaltsschreiben an die Parlamentarische Gesellschaft wird der Beschluss des Vorstands als „nichtig“ bezeichnet. Er verstoße gegen geltendes Recht. Auch hat Huy gegen die DPG geklagt, der Fall liegt beim Berliner Landgericht.
Die Ausführungen von Correctiv seien „schlicht unzutreffend“, heißt es in der Klageschrift. Es handle sich „nicht um eine Sachverhaltsdarstellung, sondern um die Wiedergabe von Meinungen und um eigene Interpretationen von Correctiv-Mitarbeitern“. Also sei die Teilnahme an dem Potsdam-Treffen als Grund für den Ausschluss nicht geeignet. Auch habe Huy in einer schriftlichen Stellungnahme „klargestellt, dass es sich hier um eine private Vortragsveranstaltung gehandelt habe, die mehrere Redebeiträge umfasst habe“. An den Vorträgen sei Martin Sellner „lediglich mit einem halbstündigen Vortrag beteiligt“ gewesen.
Future Image/imago
DPG-Mitglieder kritisieren Vorstandsbeschluss
Ende November soll die DPG-Mitgliederversammlung über Huys Berufung entscheiden. Mit einfacher Mehrheit, so steht es in der Tagesordnung. Sollte ihr Einspruch abgelehnt werden, bleibt noch das Gerichtsverfahren.
Es ist keinesfalls ausgeschlossen, dass sich nicht nur AfD-Politiker gegen den Rauswurf stellen. Auch Mitglieder anderer Parteien kritisieren den Vorstandsbeschluss. Wegen der teils fragwürdigen Berichterstattung von Correctiv, aber auch aus grundsätzlichen Bedenken. Für die AfD wäre das ein weiterer Anlass, sich als Märtyrerin aufzuspielen, heißt es etwa.
Die Parlamentarische Gesellschaft will sich nicht zum geplanten Ausschluss ihres Mitglieds äußern. Auf einen Fragenkatalog an Präsident Zierke antwortet der Geschäftsführer des Vereins, Bernd Wichterich, per Mail. Man bedanke sich. „Zu Ihrer Anfrage teile ich Ihnen mit, dass die Deutsche Parlamentarische Gesellschaft zu gesellschaftsinternen Vorgängen und insbesondere Angelegenheiten ihrer Mitglieder gegenüber Medien keine Auskunft gibt.“ So kommuniziert der Verein des Öfteren gegenüber der Presse.
Auch auf die wiederholte Frage, ob und wie viele Mitglieder in der Vergangenheit ausgeschlossen wurden, will die DPG nichts sagen. Man wolle „bei unserer Linie“ bleiben. Im Gespräch mit der Berliner Zeitung betonen mehrere Mitglieder: Eine Seltenheit wäre der Ausschluss von Gerrit Huy auf alle Fälle.
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