„The Dead Don‘t Hurt“: Kleinkriegen ist keine Option

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Berlin. Mit seiner zweiten Regiearbeit hat Viggo Mortensen einen eigenwilligen Frauen-Western geschaffen. Eine Parderolle für Vicky Krieps.

Es beginnt mit einem Ende. Die letzten Atemzüge einer Frau. Dann ist ihr Leben ausgehaucht. Und man sieht draußen einen Reiter auf einem Pferd näherkommen. Ist das eine Rüstung, die er da trägt? Ja, tatsächlich: eine alte Ritterrüstung. Und man reibt sich verwundert die Augen: Das soll ein Western sein?

Vicky Krieps als Pionierin, die sich selbst behauptet

Der Western, heißt es ja gern und schon seit Dekaden, ist tot. Es gibt nur noch Post-Western. Abgesänge. Schwanengesänge. Doch weit gefehlt. Das amerikanischste aller Filmgenres, das wie kein zweites die Mythen des Pioniergeistes beschwört, es erlebt vielmehr eine Renaissance. Nicht zuletzt dank der Streamingserie „Yellowstone“ mit all ihren Ablegern. Und es gibt, so zeigt sich, noch viele Geschichten, die nie erzählt, noch viele Perspektiven, die nie eingenommen wurden.

Altstar Kevin Costner, der schon in allen vier Staffeln „Yellowstone“ mitspielt, wird Ende des Monats eine eigene monumentale Saga im Kino starten, „Horizon“, angelegt in vier überlangen Filmen. Zuvor aber und wie zur Einstimmung kommt nun Viggo Mortensen, der König der „Herr der Ringe“, mit seiner zweiten Regiearbeit „The Dead Don’t Hurt“. Da spielt er selbst einen wortkargen Pionier. Aber es geht nicht um ihn, sondern, ungewöhnlich genug, um die Frau an seiner Seite.

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Eine französisch-kanadische Einwanderin, Vivienne Le Coudy (Vicky Krieps), die es Mitte der 1860er-Jahren nach San Francisco verschlagen hat. Wo sie ein junger, reicher Städter aus guten Kreisen umwirbt. Ihr Glück ist gemacht, wie man so sagt. Wenn man das als Glück sehen würde. Die junge, selbstbewusste Frau tut es nicht. Sie verdient ihr eigenes Geld. Steht im Restaurant auf und lässt ihren Galan, der sie langweilt, einfach sitzen. Macht auf der Straße die Bekanntschaft eines Fremden. Und zieht dann mit ihm ins Ungewisse. Und in die Prärie.

Der Mann zieht in den Krieg. Doch der Film bleibt bei der Frau

Dort mietet der dänische Auswanderer Holger Olsen (gespielt vom Regisseur Mortensen) eine kleine Hütte irgendwo im Nirgendwo von Nevada. Auch das klingt nach altem, tradierten Muster. Der Mann umzäunt seine Farm und verdient Geld als Zimmermann. Aber auch hier lässt sich Vivienne nicht auf Haushalt und Küche reduzieren. Sie bewirbt sich im Saloon der nahen Kleinstadt. Auch wenn dort schnell klar wird, dass der Ort von einem mächtigen Familienclan beherrscht wird – und dessen sadistischer Sohn Weston (Solly McLeod) gleich ein Auge auf die fremde Frau wirft.

Bald kommen andere Fremde in die Stadt. Militärs, die Soldaten für die Union im Kampf gegen die Südstaaten rekrutieren. Aber nur einer folgt ihrem Ruf. Ausgerechnet Holger. Als Freiheitsliebender will er helfen, die Sklaven zu befreien. Aber er lässt dafür seine Frau zurück. Genreüblich würde der Film jetzt dem Mann in den Krieg folgen. Während die Frau brav zuhause auf ihn wartet. Dieser Film aber lässt den Mann ziehen und bleibt bei Vivienne, die sich nun allein durchschlagen muss. Und bei der sogleich der Clan-Sohn vor der Türe steht.

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Eine starke, selbstbewusste Frau in rauen, gesetzlosen Zeiten: Vicky Krieps als Vivienne.

Eine starke, selbstbewusste Frau in rauen, gesetzlosen Zeiten: Vicky Krieps als Vivienne.
© Alamode | Marcel Zyskind

Der Western, noch so ein Klischee, ist das letzte Derivat der Männlichkeit. Weil hier Männer noch Männer sein dürfen. Das hat das Genre über Jahrzehnte so reaktionär wirken lassen: weil hier, in der Weite der Prärie, noch das Recht des Stärkeren gilt. Wohingegen die Stadt immer ein Synonym für Korruption und Gesetzeswillkür ist, und eine Fessel, an die Zivilisation, aber auch an die Frau und den heimischen Herd.

Ein schmales Subgenre: der feministische Western

Nur wenige Western erlauben eine andere Sicht, zeigen auch die weiblichen Pioniere und stellen gerade ihre Mühsal in diesen Gründerjahren ins Zentrum, und es ist wohl kaum ein Zufall, dass sie vor allem erst aus diesem Jahrhundert stammen: „The Missing“ (2003) etwa mit Cate Blanchett, „Unterwegs nach Cold Mountain“ (ebenfalls 2003) mit Nicole Kidman, „Meek‘s Cutoff“ (2010) mit Michelle Wiliams, „The Homesman“ (2014) mit Hillary Swank oder auch der deutsche Beitrag „Gold“ (2013) mit Nina Hoss.

Die Vivienne aus „The Dead Don’t Hurt“ ist nun eine weitere reizvolle Figur in dieser noch sehr übersichtlichen Galerie starker, autarker Charakter. Mortensen hat diese Figur nach dem Vorbild seiner eigenen, 2015 gestorbenen Mutter Grace Gamble Atkinson geschaffen, der er den Film auch gewidmet hat. Daher auch der Ritter mit der Rüstung am Anfang: Das waren Geschichten, die Mortensens Mutter (und so auch ihr Abbild im Film) als Kind gelesen hat. Diese Vivienne weiß anzupacken und Wild zu schießen. Weiß ihren Mann zu stehen, wie das wieder so falsch maskulinisiert wird.

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Der Mann (Viggo Mortensen) zieht in den Krieg - und lässt seine Frau schutzlos zurück.

Der Mann (Viggo Mortensen) zieht in den Krieg – und lässt seine Frau schutzlos zurück.
© Alamode | Marcel Zyskind

Gegen den männlichen Übergriff ist sie machtlos. Doch obwohl sie am Morgen danach entschlossen ihre Sachen packt und schon wegziehen will, entschließt sie sich doch zu bleiben. Kleinkriegen ist keine Option. Als Holger Jahre später aus dem Krieg zurückkommt, da kommt sie ihm nicht mit offenen Armen entgegengerannt. Da steht auch ein kleiner Junge eben ihr, und als er fragt, wessen Kind das sei, sagt sie lediglich, es sei ihres. Hier muss der Mann lernen, die Entscheidungen zu akzeptieren und mitzutragen. Und ist der Reiter zu Beginn womöglich gar kein Ritter, sondern eine Jeanne d’Arc?

Vicky Krieps besticht einmal mehr mit einer herausragenden Figur

Lakonisch und mit wenigen Worten erzählt Mortensen diese Geschichte zweier Außenseiter, die ihre Freiheit suchen und deren Beziehung mehr eine Schutz- und Trutzgemeinschaft ist als eine bürgerliche Ehe. Gleichwohl werden diese Figuren, ganz wie im klassischen Western in großen Panoramabildern in eine riesige, poetische, aber auch schroffe und abweisende Landschaft gestellt, in der sie sich fast verlieren und behaupten müssen.


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Mortensen huldigt so dem Genre– und demontiert es zugleich, um es neu zusammenzusetzen. Bei ihm wird eher getrabt denn galoppiert, Spannung ergibt sich nicht durch Action, sondern über das Seelendrama. Deshalb ist der zweite Film des Schauspieler-Regisseur auch das: ein Fest für seine Darsteller, die alles überwiegend mit spärlichen Gesten auszudrücken haben. Ein Geschenk für Mortensen selbst, der einen rätselhaften, letztlich gebrochenen Mann zeigt, der für die Freiheit kämpft und doch Unrecht geschehen lassen muss.

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Regisseur Viggo Mortensen und seine Hauptdarstellerin Vicky Krieps and Viggo Mortensen bei der Spanilen-Premiere des Films in Madrid.

Regisseur Viggo Mortensen und seine Hauptdarstellerin Vicky Krieps and Viggo Mortensen bei der Spanilen-Premiere des Films in Madrid.
© picture alliance / ZUMAPRESS.com | Nacho Lopez

Vor allem aber für Vicky Krieps, die ihre bemerkenswerte Filmographie um einen weiteren atemberaubenden Charakter erweitert: Gerade in Kostümfilmen weiß sie Frauen in einem toxischen Umfeld mit aller Stärke und natürlichem Trotz zu verkörpern: Sei es als Kaiserin Sisi, die in „Corsage“ der höfischen Kette den durchlauchtigen Mittelfinger zeigt, sei es als Muse, die sich gegen in „Der seidene Faden“ gegen einen übermächtigen Modedesigner emanzipiert oder zuletzt als Schriftstellerin, die sich in „Ingeborg Bachmann – Die letzte Reise“ von ihrem Kollegengatten Max Frisch nicht in den Ehezwinger sperren lässt.

Ein Film, der weit über seine Zeit hinausweist

Ein starker, eindringlicher, ungewöhnlicher Western. Mit spärlichen Mitteln. Selbst die Filmmusik, (wie in seinem Regiedebüt „The Falling“ wieder von Mortensen selbst komponiert), beschränkt sich meist auf eine Fidel. Aber mit großer Intensität. Der Wilde Westen einmal mehr als weite Sehnsuchts- und Symbollandschaft. Für Selbstbestimmung und Selbstbehauptung. Vor allem aber für das Eintreten einer klaren Position und Haltung, was weit über die begrenzten Möglichkeiten jener Zeit hinaus auch auf die Gegenwart zielt.

Western, Mexiko/Kanada/Dänemark 2023, 129 min., von Viggo Morsensen, mit Vicky Krieps, Viggo Mortensen, DAnny Huston, Solly McLeod, Danny Huston

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