Behindertensportler nennen Olympia gern die Generalprobe für die Paralympischen Spiele. Das ist in Paris nicht anders. Der Chef des Organisationskomitees der Pariser Spiele, Tony Estanguet, stimmte schon während der Olympiaschlussfeier auf das nächste große Sportfest in der französischen Hauptstadt ein. “4.500 Athleten stehen in den Startlöchern. Bereit, unsere Vorurteile zu zerstören”, kündigte er die Paralympischen Spiele an. 

Gut 14 Tage später beginnt an diesem Mittwoch die größte Sportveranstaltung für Menschen mit Behinderung. Seit 1960 findet sie, mit Unterbrechungen, am gleichen Ort wie die Olympischen Spiele statt. Wie wird bei den Wettkämpfen Chancengleichheit hergestellt? Und welche deutschen Sportlerinnen und Sportler haben gute Aussichten auf Medaillen? Antworten auf die wichtigsten Fragen zu den Paralympics

Wann und wo finden die Paralympischen Spiele statt?

Die Paralympischen Spiele 2024 finden vom 28. August bis 8. September in und um Paris statt. Um Medaillen gekämpft wird unter anderem im Grand Palais, in der Arena La Défense, am Fuß des Eiffelturms oder beim Schloss Versailles – so wie zuvor während der Olympischen Spiele. Die Eröffnungsfeier findet im Stadtzentrum statt, unter anderem auf den Champs-Élysées.

Seit wann gibt es die Paralympischen Spiele?

Zeitgleich zum Auftakt der Olympischen Spiele in London begannen im Juli 1948 die Stoke Mandeville Games. 16 Rollstuhlfahrer kämpften damals in dem britischen Dorf im Bogenschießen um die Weltmeisterschaft. Heute gilt das Sportfest als Vorläufer der Paralympischen Spiele. Der Wettkampf kam auf Initiative des Neurologen Ludwig Guttmann zustande, der Sport zur medizinischen Rehabilitation von Kriegsversehrten fördern wollte. Bald reisten Athleten aus der ganzen Welt zu dem jährlichen Ereignis. Noch heute wird die Paralympische Fackel in Stoke Mandeville entzündet, ehe sie mit dem Fackellauf zum Ort der Paralympischen Spiele getragen wird. 

1960 fanden die Olympischen und Paralympischen Spiele erstmals am gleichen Ort statt: in Rom. An den Start gingen weiterhin ausschließlich Rollstuhlfahrer. Inzwischen machen unter anderem Menschen mit Sehbehinderung, Zerebralparese oder intellektueller Einschränkung mit. Seit den Spielen in Seoul 1988 wird offiziell der Begriff Paralympics verwendet. Diese erhalten durch die Anbindung an die Olympischen Spiele mehr mediales und öffentliches Interesse.  

Warum spricht man von Paralympischen Spielen?

Laut dem Deutschen Behindertensportverband entstand der Name wahrscheinlich durch eine Zusammensetzung der Worte Paralyse (Lähmung) und Olympia. Andere Deutungsansätze beziehen sich stärker auf das griechische Wort para, was neben oder bei bedeutet. 

Was ist der Unterschied zwischen den Paralympics und den Special Olympics?

Nach einem Skandal bei den Paralympischen Spielen in Sydney im Jahr 2000 waren geistig behinderte Menschen für einige Jahre von den Wettkämpfen ausgeschlossen. Mehrere Basketballspieler des spanischen Teams hatten eine Behinderung nur vorgetäuscht. Mittlerweile dürfen auch Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung wieder an den Paralympischen Spielen teilnehmen – wenn auch nur in wenigen Disziplinen. Im Mittelpunkt stehen bei den Paralympics aber weiterhin körperlich behinderte Athletinnen und Athleten, die sich im sportlichen Wettkampf messen. 

Das Special-Olympics-Netzwerk stellt hingegen Gemeinschaft, Inklusion und die Freude am Sport stärker in den Vordergrund. Eine geistige oder mehrfache Behinderung ist Voraussetzung für die Teilnahme. Die Special Olympics World Games finden alle zwei Jahre statt – zuletzt 2023 in Berlin.

Welche Sportarten sind bei den Paralympischen Spielen vertreten?

Die Paralympioniken messen sich in 22 Sportarten. Viele Disziplinen, darunter Dressurreiten, Tischtennis, Triathlon, Leichtathletik, die Kampfsportarten Judo und Taekwondo, Schwimmen, Rudern oder Segeln kennen Zuschauer in anderer Form bereits von den Olympischen Spielen. Mehrere Sportarten bestreiten die Teilnehmenden im Rollstuhl: Fechten, Rugby, Tennis oder Basketball. Beim Sitzvolleyball duellieren sich Spieler, die wegen körperlicher Behinderungen nicht stehen können. Beim 5er-Fußball treten seit 2020 Spieler, die kaum oder gar nicht sehen können, gegeneinander an. Zwei Disziplinen haben kein olympisches Äquivalent: Der Ballsport Boccia, ähnlich dem französischen Boule, wird von vielen Menschen mit eingeschränkter Mobilität ausgeübt. Im Goalball, einem Mannschaftssport für Sehgeschädigte, versuchen die Spieler, einen Ball mit einer kegelähnlichen Bewegung in das gegnerische Tor zu rollen oder zu werfen.

Wie viele Nationen nehmen an den Paralympischen Spielen teil?

In diesem Jahr sind knapp 4.500 Teilnehmende aus 180 Ländern dabei. Wie bei den Olympischen Spielen gibt es auch ein Team der Geflüchteten, von denen mehrere in Deutschland leben. Russische und belarussische Sportler dürfen als neutrale paralympische Athleten dabei sein. Im internationalen Vergleich sind reiche Länder bei den Paralympics deutlich überrepräsentiert. Das liegt vor allem an den hohen Kosten für Hilfsmittel, die Teilnehmende dringend benötigen – seien es Sportprothesen oder spezielle Rollstühle. 

Wie wird Chancengleichheit hergestellt?

Die Teilnehmenden an den Paralympischen Spielen werden in Klassen eingeteilt, um Leistungen vergleichbar zu machen und die Wettkämpfe möglichst gerecht zu gestalten. Deshalb gibt es für jede Disziplin ein Klassifizierungssystem. Grob unterscheidet dieses zwischen körperlicher, geistiger und Sehbehinderung, die medizinisch und psychologisch festgestellt werden. Darüber hinaus werden aber auch die konkreten sportlichen Fähigkeiten von Athleten getestet – etwa wie beeinträchtigt sie bei bestimmten Bewegungen sind. Die genaue Art der Behinderung ist dann weniger relevant. Bei den paralympischen Spielen gibt es dementsprechend viele Kategorien, um die teils sehr unterschiedlichen körperlichen und geistigen Fähigkeiten auszugleichen.  

Warum ist die Kategorisierung bei den Paralympischen Spielen umstritten?

Das Vorgehen bei der Einteilung und wie stark dabei differenziert wird, hat in der Vergangenheit zu Konflikten geführt. Sportler kritisierten die Einstufung als intransparent und willkürlich. Auch Klassifizierungsbetrug wird immer wieder diskutiert: Manche Sportler würden die Einteilung manipulieren, indem sie stärkere Einschränkungen vorgeben, als tatsächlich vorhanden. Dadurch können sie in eine günstigere Schadensklasse kommen und ihre Chancen auf Medaillen erhöhen. Auch die Klassifizierung von geistig behinderten Athleten ist umstritten, da sie international unterschiedlich gehandhabt wird. Bei den Paralympischen Winterspielen 2022 wurde zuletzt vor allem den chinesischen Sportlern sogenanntes Klassifizierungsdoping vorgeworfen. 

Das Internationale Paralympische Komitee versucht Fairness unter den Athleten herzustellen. Trotzdem soll die Zahl an Wettkämpfen und Kategorien für Zuschauer übersichtlich bleiben. Besonders in der Leichtathletik gibt es aber bereits jetzt eine Vielzahl an Startklassen, die für Außenstehende schwer nachzuvollziehen sind. Außerdem müssen sie ausreichend breit gefasst werden, damit genug Sportler in den jeweiligen Wettkämpfen antreten. Ein neuer Klassifizierungskodex soll ab 2026 das Vertrauen und die Integrität der Einteilung stärken, teilte das Komitee mit.  

Schon jetzt wird versucht, ungleiche Voraussetzungen innerhalb einer Gruppe abzumildern: Bei Sportarten für Sehgeschädigte tragen beispielsweise alle Spieler lichtundurchlässige Brillen. In manchen Disziplinen werden unterschiedliche Handicaps durch Zeitgutschriften oder Punktevorteile ausgeglichen: Dann läuft die Zeit etwa für Athleten mit stärkeren Einschränkungen langsamer. 

Wer sind die aussichtsreichsten deutschen Sportler bei den Paralympics?

Bei den letzten Paralympischen Spielen ist Deutschland im Medaillenspiegel deutlich abgerutscht. Dennoch treten auch diesmal einige vielversprechende Sportlerinnen und Sportler für das deutsche Team an. 

Mit Markus Rehm ist ein vierfacher Paralympicssieger in Paris dabei. Sein Ziel ist es, auf über neun Meter im Weitsprung zu kommen. Rehms Vereins- und Trainingspartner Léon Schäfer ist ebenfalls ein vielversprechender Leichtathlet. Bei der letzten WM in Japan stellte er einen neuen Weltrekord für Unterschenkelamputierte im Weitsprung auf. Der wurde zwar in der Zwischenzeit vom Niederländer Joel de Jong übertrumpft, aber Schäfer hat dennoch gute Chancen auf eine Medaille.

Lindy Ave ist eine der Hoffnungsträgerinnen unter den Frauen: Bei den Paralympischen Spielen in Tokio lief sie im 400-Meter-Sprint zur Goldmedaille. Die Schwimmerin Elena Semechin gewann letztes Jahr den WM-Titel und ist bei den Paralympischen Spielen ebenfalls Topkandidatin. Auf dem Fahrrad will Jana Majunke erneut Gold holen. Martin Schulz ist in diesem Jahr wieder Para-Triathlon-Favorit. Der Leipziger ist seit der Einführung der Disziplin bei den Paralympischen Spielen Titelverteidiger. Mit Valentin Baus tritt auch der Paralympicssieger im Tischtennis erneut für Deutschland an. 

Können Paralympicsteilnehmende vom Sport leben?