Für die einen ist er seit der Frankfurter Buchmesse eine ehrliche Haut, für die anderen ein schlechter Verlierer. Clemens Meyer, Verfasser des Über-1000-Seiten-Romans „Die Projektoren“ und Nominierter, aber nicht Gewinner des Deutschen Buchpreises 2024, hat nun den Bayerischen Buchpreis gewonnen. In einem kuriosen Spontan-Verfahren hat sich die Jury nach einer sehr unterhaltsamen und tiefsinnigen Diskussion für den Leipziger entschieden. Ein Glück, wer weiß, was sonst passiert wäre.
Denn nach der Verleihung des Deutschen Buchpreises in Frankfurt am Main vor drei Wochen war Meyer wütend auf die dortige Jury. „Es ist eine Schande für die Literatur, dass mein Buch den Preis nicht bekommen hat“, will der 47-Jährige gerufen haben, sagte er dem Spiegel. Gewonnen hatte damals stattdessen Maria Hefters „Hey guten Morgen, wie geht es dir?“
Auch sie war für nun für den Bayerischen Buchpreis nominiert. Es ist nicht schicklich, die beiden Dotationen gegeneinander zu halten (25.000 Euro zu 10.000 Euro), und es ist auch nicht sehr aussagekräftig, weil mit den beiden Preisen letztlich das Klebchen auf dem Cover, mehr von dem raren Platz auf den Verkaufstischen und ein Effekt beim Absatzmarkt gewonnen werden. Dass es vor allem um Geld geht, auch diesen oft vornehm beschwiegenen Umstand thematisierte Meyer in seiner Philippika, indem er öffentlich auf seine Scheidungskosten hinwies und auf Steuerschulden von 35.000 Euro. Möge das Preisgeld aus Bayern helfen, vielleicht hat auch jemand bei Ebay Interesse an der Trophäe, einem weißen Löwen aus Nymphenburger Porzellan.
Schon wieder Clemens Meyer versus Martina Hefter
Es ist eine durchaus fiese Konstellation des Schicksals, dass die beiden nun ausgerechnet wieder aufeinandertreffen. Andererseits eine Gelegenheit, seinen Sportsgeist zu beweisen. Leider konnten wir ihnen am Radio nicht in die Gesichter sehen, wo die Prozedur übertragen wurde.
Die Vorgehensweise beim Bayerischen Buchpreis, der am Donnerstagabend in zehnjähriger Tradition in der Allerheiligen-Hofkirche der Münchner Residenz auserkoren, verkündet und verliehen wurde, ist besonders nervenzerfetzend für die Nominierten, die nicht nur warten müssen, bis ihre Namen verkündet oder nicht verkündet werden, sondern auch noch die Jurydiskussion und ihre Entscheidungsfindung mit anhören müssen. Etwas, was herkömmlicherweise im geschützten Raum stattfindet, mit allen Vor- und Nachteilen, die das mit sich bringt, – wir richten einen Seitenblick zum Skandal des Internationalen HKW-Literaturpreis, bei dem unschöne Interna ans Licht kamen.
Aber hier in München debattieren die drei Juroren Andreas Platthaus (Frankfurter Allgemeine Zeitung), Marie Schoeß (Bayerischer Rundfunk) und Cornelius Pollmer (Süddeutsche Zeitung) live die von ihnen vorgeschlagenen Bücher.
So kenntnisreich, wertschätzend und liebevoll sie das auch tun, sie tun es vor versammeltem Publikum, in München und an den Empfangsgeräten. Das alles wusste auch Clemens Meyer, der schon angekündigt hat, nicht mehr beim Deutschen Buchpreis einreichen zu wollen. Er musste die Begrüßung der Honoratioren und Buchbetriebsleiter abwarten, die Verleihung des Publikumspreises an Leonie Schöler für „Beklaute Frauen“, des Ehrenpreises an Donna Leon für ihr Lebenswerk – mit einer Rede der Geehrten.
Da war die erste der beiden Sendestunden schon fast vorbei. Aber auch dann war es noch nicht so weit, sondern natürlich wird zuerst der Bayerische Buchpreis in der Sachbuchkategorie verliehen, hier setzte sich Steffen Mau mit seiner Analyse „Ungleich vereint“ gegen „Die Evolution der Gewalt“ von Harald Meller, Kai Michel, Carel von Schaik sowie „Zugemüllt“ von Oliver Schlaudt durch. Abgestimmt wurde, indem jeder Juror zeitgleich ein Buch hochhielt, das er nicht nominiert hatte.
Nachdem die drei Juroren ihre Belletristik-Titel zur gemeinsamen Diskussion gestellt und sich durchweg positiv auch über die Nominierten der anderen geäußert hatten, kam es zu einem seltsamen Move von Frau Schoeß, die von ihrer Kandidatin zurücktrat und damit den eben sehr gelobten Roman „Frauen, die beim Lachen sterben“ von Alexandra Stahl aus dem Rennen nahm – um des großen Risikos Willen, das die beiden anderen eingegangen seien. Andreas Platthaus, der Meyer nominiert hatte, warb für seinen Kandidaten und um eine Entscheidung auf kurzem Dienstweg. Aber Schoeß gab ihre Stimme nicht Meyer, sondern Hefter. Das Schlusswort und die Verantwortung der Entscheidung fiel damit auf Cornelius Pollmer, der ja eigentlich Hefter nominiert hatte – nun aber seine Stimme für Meyer abgab.
Die wenigen, in tiefem Ton und Ernst dargebrachten Dankesworte machten klar, dass es dem Autor – neben dem Geld, das siehe oben er braucht – nur um die Literatur geht. „Literatur muss wehtun“, so Meyer kämpferisch. Sie solle geschrieben werden auf dem Plateau der Historie, dieses durchdringend. Ein literarisches Werk brauche keinen sensitive Reader, es sei frei und müsse wie ein „Echolot in die Tiefe dringen, nicht, wie es andere mediale Entwicklungen vormachen, auf der Oberfläche verharren. Dafür muss man kämpfen, um die Leser zu gewinnen, daran glaube ich nach wie vor“. Er sagte es so, als hätte der Bayerische Buchpreis daran nichts ändern können. Gut, dass die Probe nicht gemacht wurde.
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