Gold? Es sah so aus, als könnten sie es nicht fassen. Die Frauen des deutschen 3×3-Teams greifen sich am Montagabend etwa gegen 22.25 Uhr an den Kopf. Sie wirken für einen Moment wie benommen von diesem goldenen Moment. Der Diskjockey ruft sie als Champion aus. Eine Sensation.
Svenja Brunkhorst, Sonja „Sunny“ Greinacher, Marie Reichert und Elisa Melvius sind auf Anhieb, im ersten Versuch Olympiasiegerinnen geworden. Und wieder war es hartes Stück Arbeit bis in die letzten Sekunden, ein an Spannung kaum zu überbietendes Spektakel beim 16:15 über Spanien. „Die ganze Realisierung, was wir hier gemacht haben, was wir erreicht haben für den Basketball und den Frauen-Basketball in Deutschland – das wird erst später kommen“, sagte Greinacher bei Greinacher.
„Man darf nie ausgeben“
Nach einer schnellen Führung der Deutschen kamen die Ibererinnen ins Spiel. Nutzten ihre Chance, trafen von außen, führten 10:6, schienen auf dem Weg, sich für die Niederlage zum Ende der Vorrunde zu revanchieren. „Aber das ist 3×3. Man darf nie ausgeben“, sagt Elisa Melvius, „das lieben wir.“
Gesagt, getan. Es fielen zwei Würfe von außen durch Brunckhorst und Greinacher. Melvius setzte sich flink, gewitzt durch, die Spanierinnen packten zu, erhöhten ihre Foulbelastung: 12:12. Auch der nächsten spanischen Phase leisteten die Deutschen Widerstand. Wieder kam Melvius zum Ausgleich, eine Minute vor Schluss. Ein Knistern lag in der Abendluft. Der DJ peitsche das Publikum auf. Brunckhorsts Zweier, ein Notwurf mit Ablauf der Angriffszeit, segelt am Korb vorbei.
Aber Greinachers Distanzwurf lässt die deutschen Fans erzittern. Gold? Noch nicht. 7,6 Sekunden, Spanien hat den Ball, ein Wurf, auf den Ring, ein Rebound, vorbei. Brunckhorst, Melvius, Reichert und Greinacher schauen sich um. Ist das wahr? Sie tanzen, sie herzen sich. Sie laufen zu Dirk Nowitzki, umarmen die Ikone des deutschen Basketballs. Sie haben geschafft, was ihm nie vergönnt war. „Wahnsinn!“, sagte Nowitzki: „Das ist auf jeden Fall historisch.“
Es ist die erste Medaille im 3×3 des deutschen Basketballs. Kein Kunststück, könnte man frech behaupten, weil die Deutschen ja erstmals dabei waren. Aber 2021, bei der Premiere in Tokio, steckte das Projekt von Disziplintrainer Matthias Weber noch in der Findungsphase, im zweiten Jahr. Schon im fünften hat es zur Krönung gereicht, am Montagabend auf der Place de la Concorde.
Allein die Umgebung verleiht diesem großen Moment einen goldenen Rahmen. Vom Trainingsplatz zum Einwerfen direkt neben der Open-Air-Arena mit Sonnensegeldach lässt sich auf den Arc de Triomphe schauen. Fünfzig Meter vom Korb des Centercourts entfernt steht der berühmte Obelisk, von der Tribüne aus sieht man die goldene Kuppel vom Dom des Invalides glänzen in der Abendsonne.
Auch Thomas Bach, der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees, ließ sich einen Teil des Finalabends nicht entgehen, gratulierte dem Präsidenten des Deutschen Basketball-Bundes, Ingo Weiss, zur Premiere. Denn Gold im 3×3 ist zugleich die allererste Medaille für den Verband überhaupt bei Olympischen Spielen. Einmalig.
Eine Wiederholung wird es nicht geben. Jedenfalls nicht in dieser Konstellation. Brunckhorst beendet ihre Karriere und wird nun vollends als Managerin beim Basketball-Bundesligaklub Alba Berlin um die Frauen kümmern. „Wenn mir das einer gesagt hätte, dass ich bei meinem letzten Turnier ins Halbfinale komme bei Olympia“, hatte sie am Samstag erzählt, Freudentränen in den Augen. Jetzt kehrt sie mit Gold zurück, mit einem Titel, den ihr, dem Ensemble niemand mehr nehmen kann. Olympiasieger ist man auf Lebenszeit.
Die Männer und Frauen mit der großen Hallenaufstellung Fünf gegen Fünf können nachziehen. Sie stehen an diesem Dienstag (11.00 Uhr im F.A.Z.-Liveticker zu Olympia, in der ARD und bei Eurosport / Männer gegen Griechenland) und am Mittwoch (18.00 Uhr im F.A.Z.-Liveticker zu Olympia, in der ARD und bei Eurosport / Frauen gegen Frankreich) im Viertelfinale.
„Unglaubliche Trefferquote“
Zwei Profis des Nationalteams nahmen am Montag schon mal Anschauungsunterricht neben Basketball-Ikone Nowitzki und dem früheren spanischen NBA-Star Pau Gasol: Franz und Moritz Wagner sahen das packende Halbfinale. Und warum dem Quartett einen Siegermentalität nachgesagt wird. 5:10 im Rückstand gegen Kanada, kein „Händchen“ für die Würfe von außen, abgesehen vom allersten Versuch, dem einzigen Zwei-Punkte-Treffer der Deutschen in dieser Partie.
Eigentlich ist das untypisch. Im 3×3 geht der Trend zum Distanzwurf als Gewinnfaktor mit jeweils zwei Punkten, als wirkungsvollstes Mittel, Rückstände im Handumdrehen aufzuholen. Aber die hohe Foulbelastung der Kanadier spielten den Deutschen in die Hände. Sie suchten Sonja Greinacher in Korbnähe, hofften auf Freiwürfe bei Fouls und deren sichere Hand. Sie lieferte. „Ich kenne sie 16 Jahre, sie hat eine unglaubliche Trefferquote“, sagte Brunckhorst.
Und Nerven. Noch eine Minute zu spielen, 15:14 für die Auswahl des Deutschen Basketball-Bundes. Ein Match auf Augenhöhe. Greinacher schwört ihre Mitspielerinnen auf die Crunchtime ein. Wann, wenn nicht jetzt? Wer macht einen Fehler zu viel? Kanada trifft zum Ausgleich.
25 Sekunden. Brunckhorst verliert den Ball. Ein Fehlwurf gibt den Deutschen die Chance. 15 Sekunden noch, zwölf haben sie Zeit, sonst ist der Ball verloren. Die Uhr tickt, die Sekunden verrinnen. Anspiel auf Greinacher. Bei 0,6 Sekunden vor Ablauf der Angriffszeit verlässt der Ball die Hand. Ein Mitteldistanzwurf, ihr Wurf, ein Volltreffer. Er bringt Silber, aber er schimmert schon golden.
Eine Medaille mit Sternchen
Disziplintrainer Matthias Weber hatte mit einem sehr begrenzten Budget auf die Frauen gesetzt zusammen mit Bundestrainer Samir Suliman. Sie waren Novizen in Paris, aber geschult als Weltreisende des 3×3, vorbereitet auf die Elite. Andere wurden als Favoriten genannt. Aber das deutsche Ensemble schlug sich durch. Sieben Spiele in der Vorrunde, sechs Siege, nur gegen Australien gab es eine Niederlage.
Svenja Brunkhorst (32 Jahre alt), Sonja Greinacher (31), Marie Reichert (23) und Elisa Melvius (20) haben es am Ende tatsächlich geschafft. Und wie! Insofern hängt an der Medaille ein Sternchen: Extraklasse.
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