FOCUS online: Sie waren Flugbegleiterin – bis zur Pandemie. Der Flugbetrieb Ihrer Linie wurde wegen Corona geschlossen.
Nadine: Ja, ich war darüber sehr traurig. Ich habe es sehr geliebt… Das Fliegen an sich.
Kommt jetzt eine Einschränkung?
Nadine: Natürlich ist der Job anstrengend. Und das nicht nur, weil wir manchmal zwei Flüge am Tag hatten, also zweimal hin, zweimal zurück. Doppel-München oder Doppel-Tegel… Das ist hart.
Man bleibt die ganze Zeit über im Flieger, bis Dienstschluss. Auch Kurz- oder Mittelstrecke ist für viele Passagiere inzwischen wie Bus- oder Bahnfahren. Das hat nichts Glamouröses mehr. Meine Erfahrung: Je angestrengter man selbst ist, desto eher kommt es am Bord zu Problemen.
Auch, wenn offensichtlich der Gast selbst das Problem ist?
Nadine: Es gibt Kolleginnen und Kollegen, die so denken, aber für mich ist das die falsche Einstellung. Deeskalation ist eine der wichtigsten Aufgaben in diesem Job. Nicht Recht haben oder belehren wollen.
Und für Deeskalation ist eine gute Grundstimmung ganz wesentlich. Nicht nur bei den einzelnen Mitarbeitern, auch in der Crew. Sobald das Team feststand, konnte ich relativ sicher voraussagen, ob es ein entspannter Flug wird.
„Die Passagiere erkennen, wo sie einen treffen können“
Oder eben nicht?
Nadine: Man kennt ja seine Pappenheimer und wie überall gibt es auch unter Flugbegleiterinnen und Flugbegleitern Zickenkrieg. Die Passagiere haben für sowas ein extrem gutes Gespür, erkennen seismografisch, wo sie einen treffen können.
Wollen die das denn: Das Bordpersonal „treffen“?
Nadine: Das sind Prozesse, die sich verselbstständigen. Schauen Sie, als Passagier im Flugzeug hat man nichts zu tun, also beobachtet man sein Umfeld sehr genau – und registriert viel mehr als sonst, wo mögliche Angriffspunkte sind. Ich habe versucht, mir eine gewisse innere Haltung zuzulegen, um damit umzugehen.
Welche?
Nadine: Es ist eine Gratwanderung. Zwischen: „Ich bin eine von euch, wir sitzen im selben Boot – beziehungsweise Flieger“. Und: „Ich bin diejenige, die hier im Zweifel die Ansagen macht.“ Zum Beispiel bei den Mallorca-Flügen. Da ist diese Gratwanderung ganz wichtig.
Warum gerade dort?
Nadine: Viele Leute steigen in Partystimmung ein. Denken Sie nur an die ganzen Junggesellenabschiede. Oder auch die Kegeltouren. Oft wird Musik abgespielt. Die geht vom Handy über Bluetooth auf eine mitgebrachte Box. Schlager, die durchs ganze Flugzeug schallen – das war keine Seltenheit. Dazu kommt: Dass Alkohol in der Luft anders wirkt, scheint sich immer noch nicht überall herumgesprochen zu haben…
Was haben Sie in solchen Fällen unternommen?
Nadine: Jedenfalls nicht, was Kolleginnen und Kollegen teilweise gemacht haben: Sätze mit „wenn… dann“ bilden. Konsequenzen androhen. Den Oberlehrer oder die Oberlehrerin spielen. Damit schaukelt sich alles nur noch mehr hoch. An der Binsenweisheit „Wie man in den Wald hineinruft…“ ist durchaus was dran.
„Ich verstehe euch, ich feiere auch gern…“
Wir haben Sie „hineingerufen“?
Nadine: Sinngemäß: „Ich bin eine von euch. Ich bin ein Mensch, ich verstehe, wenn man gern feiert. Mache ich auch gerne.“ Man merkt dann sofort, wie sich einem das Gegenüber zuwendet.
Das nachgeschobene „Es wäre nett, wenn Sie auf die anderen Fluggäste Rücksicht nehmen und die Lautstärke etwas herunterregeln würden“ wird dann viel eher akzeptiert. Auch dann, wenn die Herrschaften sich in der Gruppe besonders cool fühlen.
Wenn so Sprüche kommen wie „Oh, da kommt die Flugbegleiterin… jetzt gibt es gleich Ärger.“ „Ich verstehe euch, ich feiere auch gern…“, ich glaube, das hat viele in dem Moment ziemlich überrascht. „Wir verstehen euch“ – so was wirkt sogar noch besser.
Wenn eine Kollegin ins gleiche Horn gestoßen hat, meinen Sie?
Nadine: Genau. Wenn rüberkam: Das sind eigentlich keine Spaßbremsen, darum geht’s nicht. Wie gesagt, die Stimmung in der Crew steht für mich im Zusammenhang mit der zu erwartenden Atmosphäre an Bord ganz oben. Dicht gefolgt von der Frage, wohin die Reise geht.
Ach so?
Nadine: Ja klar, wie angenehm ein Flug ist, hängt auch ganz stark von der Destination ab. Flüge in Richtung Kanaren waren zum Beispiel fast immer easy. Auch wegen der vergleichsweise vielen Rentner an Bord. Die allermeisten von denen sind tiefenentspannt.
Nicht so wie das jüngere Partyvolk, meinen Sie?
Nadine: Oder die etwas Älteren. Mit denen war es oftmals am schwierigsten.
Von welchem Alter sprechen Sie?
Nadine: Ende 20 bis Ende 40. Familien wirken im Flieger überdurchschnittlich gestresst, belastet, oft überfordert. Bis zu einem gewissen Grad verstehe ich das. Was will man denn auch machen, wenn ein Baby schreit? Wo will man denn mit dem Kind hin?
Auf die Balearen zum Beispiel.
Nadine: Was als Reiseziel eher für Entspannung im Flieger spricht, abgesehen von den Junggesellen und vom Partyvolk. Flüge in Ferienregionen laufen einfach unter anderen Bedingungen. Die Leute sind gut drauf, da ist die Frustrationstoleranz höher.
„Die Erwartungshaltung, dass wir Flugbegleiter das Gepäck verstauen, ist verbreitet“
Also wären Sie, wenn Sie die Wahl gehabt hätten, lieber öfter in den Süden geflogen?
Nadine: Das kann man so nicht sagen. Auch Island war super. Viele Backpacker. Leute, die sich einlassen können. Wenig Perfektionismus – was gerade bei Businessflügen gern zu einer gewissen Verkrampfung führt.
Was sind Ihrer Erfahrung nach eher anstrengende Destinationen?
Nadine: Süditalien fand ich persönlich schwierig. Vor allem, wenn wir ländlichere Gebiete angeflogen haben. Da hat man viele Leute an Bord, die nicht so firm im Reisen sind und das macht Stress.
Das geht schon beim Einsteigen los: „Wo ist denn die erste Reihe?“, heißt es – Subtext: Wir stehen direkt davor. Oft war das ein wildes Durcheinander, ein bisschen wie auf einer italienischen Plaza. Noch herausfordernder, als die Leute zu verteilen, ist allerdings die Versorgung des Gepäcks. Hier haben einige Fluggäste leider falsche Vorstellungen…
Was meinen Sie?
Nadine: Die Erwartungshaltung, dass wir Flugbegleiter das Gepäck verstauen, ist verbreitet. Stellen Sie sich mal vor, wir müssen jeden Tag die ganzen Koffer hochhieven… Natürlich bleibt man auch in so einem Fall freundlich. Zumindest bis zu einem gewissen Grad.
Wo ist Schluss?
Nadine: Einmal ließ ein Fluggast nicht locker. „Fräulein, mein Gepäck – einräumen bitte“, rief er wiederholt. „Ich bitte Sie um Verständnis, das ist nicht meine Aufgabe“, sagte ich – zu lasch sollte man nämlich auch nicht sein.
Eine Diskussion über Zuständigkeiten entbrannte. Bis plötzlich eine Passagierin aufstand und das Gepäck verstaute. Darauf der Fluggast: „Sehen Sie, so wird es gemacht.“
„Man hat man uns ‚hergeschnipst‘“
Hat Sie das nicht auf die Palme gebracht?
Nadine: Nein, wenn dem so gewesen wäre, hätte ich den falschen Job gehabt. Manches löst sich von selbst – eher so habe ich das gesehen. Die Frage ist doch immer auch, wozu es führt, wenn ich zu schnell Grenzen aufzeige.
Ich denke da zum Beispiel an die Nachtflüge nach Nordafrika oder im Speziellen Nador. Die waren teils wirklich gruselig. „Bitte zuerst den Herren bedienen, dann die Dame“ – so was mussten wir uns da teils anhören. Und so mancher Fluggast hielt es noch nicht mal für nötig, mit uns zu sprechen.
Sondern?
Nadine: Man hat man uns „hergeschnipst“.
Und dann?
Nadine: In solchen Situationen habe ich mich freundlich, aber bestimmt positioniert.
Wie genau?
Nadine: Gerne habe ich ganz gezielt die Dame angesprochen. Mit einer kurzen, ergänzenden Bemerkung in Richtung ihres Begleiters: „Ich bin gleich bei Ihnen.“ Generell habe ich die Erfahrung gemacht, dass die verbale Kommunikation allein nicht entscheidend ist.
Sondern?
Nadine: Ich habe in den letzten Jahren fast nur noch Hosenanzüge getragen. Mein Eindruck: Von bestimmten Menschen wurde mir damit mehr Respekt entgegengebracht.
Ich weiß nicht, ob man das verallgemeinern kann, aber wenn ich anfangs hochhackig und im Röckchen rungetingelt bin, musste ich mir eher Sachen anhören.
„Da ist man schnell mal die dumme Flugbegleiterin, die nichts im Kopf hat“
Was denn zum Beispiel?
Nadine: Ein Klassiker ist die „Saftschubse“. Bedrohungsstufe eins: die Beleidigung. Noch häufiger sind allerdings Brüskierungen, ohne dass Worte fallen.
Ich muss das leider so sagen, bei Passagieren in der ersten Klasse kommt das relativ häufig vor. Da ist man schnell mal die dumme Flugbegleiterin, die nichts im Kopf hat. So mancher Fluggast scheint es noch nicht mal nötig zu haben, dich anzuschauen, wenn er mit dir spricht.
Wie haben Sie auf sowas reagiert?
Nadine: Weiterhin freundlich. Ich ändere diese Menschen ja schließlich nicht. Noch mal: Gerade in der Luft sollte man immer eher deeskalierend sein.
„Aus einem Flieger kommt man nicht mal eben raus“ – das gehört als eine Art Grundregel in den Hinterkopf. Übrigens, auch und gerade dann, wenn der Worst Case in Sachen Passagierverhalten eingetreten ist.
Und der wäre?
Nadine: Rauchen auf der Toilette. Es gibt nichts Schlimmeres, Gefährlicheres. So ein Toilettenbrand kann ganz schnell eskalieren.
Ihre Reaktion?
Nadine: Ich habe an die Tür gehämmert, sie, wenn möglich, aufgerissen und geschrien „Wo ist die Zigarette?“ Kein höfliches Drumherum, nur dieser eine Satz, dann muss es einfach schnell gehen.
Generell hat man als Flugbegleiterin je nach Eskalationsstufe Möglichkeiten. Ich kann über Funk Kontakt mit dem Piloten aufnehmen, ich kann ihn im schlimmsten Fall sogar holen lassen.
Kam das denn vor?
Nadine: Letzteres bei mir nie. Aber dass ich Kontakt ins Cockpit aufgenommen habe, das gab es schon. Einmal beim Anflug auf Pristina: Zwei Männer hatten sich über ein religiöses Thema in die Haare bekommen und gingen aufeinander los…
Zum Glück – wir konnten sie einigermaßen besänftigen. Am Flughafen wurden die beiden dann von der Polizei entgegengenommen.
„Eine kleine Aufmerksamkeit obendrauf, das bewirkt zuweilen Wunder“
Gibt es Tricks, wie man einen aufgebachten Fluggast beruhigen kann?
Nadine: „Was kann ich Ihnen Gutes tun?“ – das hat meistens funktioniert. Zum Beispiel, wenn man jemandem den Kaffee über den Latz gekippt hat, was bei Turbulenzen passieren kann.
Natürlich, in so einem Fall übernimmt die Fluglinie die Reinigung. Aber die kleine Aufmerksamkeit obendrauf, das Glas Sekt oder der Schokoriegel, das bewirkt zuweilen Wunder.
Einmal stand eine Cola so unter Druck, dass sie mir beim Öffnen explodiert ist. Ein Fluggast war von oben bis unten eingesaut… Zum Glück ist er komplett cool geblieben. Und dann hat er sich trotz des Missgeschicks beim Aussteigen sogar für die gute Begleitung bedankt. Solche Momente waren für mich immer sehr besonders. Und sind es weiterhin.
Als Zugchefin meinen Sie? Sie arbeiten inzwischen ja nicht mehr als Flugbegleiterin.
Nadine: Genau. „Es war schön, dass sie trotz aller Verspätungen und Schwierigkeiten so freundlich geblieben sind“, hat mir neulich ein Reisender gesagt. Sowas tut gut – und bestärkt mich auf meinem Weg.
„Vieles hängt von einem selbst ab“
Welchem Weg?
Nadine: Ich habe es ja gerade schon gesagt: Vieles hängt von einem selbst ab – davon, mit welcher Haltung man den Flieger oder auch den Zug betritt.
Ob man stur sein Ding durchzieht und aufs Einhalten gewisser Regeln besteht – oder ob man sich sagt: Wir sind jetzt für eine gewisse Zeit zusammen hier drinnen, machen wir das Beste draus.
Das klingt einfach – ist aber in der Realität sicher oft schwer.
Nadine: Das A und O ist für mich persönlich ein guter Ausgleich. Ich arbeite seit vielen Jahren nebenberuflich als Personal Trainerin und Masseurin.
Selbstfürsorge ist ein wichtiges Thema – gerade in diesen Tagen, in denen die Zündschnur bei vielen von uns kürzer geworden ist. Bei den Gästen, aber auch beim Personal. Ich glaube nicht, dass es etwas bringt, in der Diskussion beim schwierigen Kunden zu bleiben. Das wäre zu kurz gedacht.
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