Berlin. Kolumnist Dieter Puhl schreibt an den Regierenden Bürgermeister, woran es wirklich fehlt, um die Obdachlosigkeit zu bekämpfen.
Guten Morgen, Herr Regierender Bürgermeister, ich schätze in etlichen Teilen Ihre Politik, und ich glaube, Sie wissen das. Und Sie merken es in persönlichen Begegnungen: Ich finde Sie echt sympathisch. Man kann prima mit Ihnen reden und Sie können sich gut auf Menschen einstellen, sie abholen. Und ab und an lesen sie sogar meine Kolumne, „wenn mich die Überschrift neugierig macht“, versicherten Sie mir diese Woche lachend bei einer kurzen Begegnung im Roten Rathaus.
Ich spreche Sie heute nun persönlich an, als Regierenden Bürgermeister und auch als Landesvater. Landesvater, das ist ein Begriff, den ich mag. Er hat viel mit Emotionen zu tun, auch mit Verantwortung. Ein Vater sorgt für seine Kinder.
Berlin sei nach Ansicht der Wohlfahrtsverbände im Kampf gegen die Obdachlosigkeit gescheitert, habe ich neulich gelesen. Fachleute hatten zu einer Pressekonferenz eingeladen, es ging auch um den Start der Kältehilfe am 1. Oktober. Berlin habe „ein echtes Menschenwürdeproblem“, hatte Ursula Schoen festgestellt, die Direktorin der Diakonie.
Auch Sie sind schon im Kältebus mitgefahren
Seit Jahren begleiten Prominente, politische Entscheiderinnen und Entscheider und Journalisten die Kältebusse der Berliner Stadtmission oder den Wärmebus des Roten Kreuzes. So eine Fahrt kann Stunden dauern. Man erlebt Berlin bei Nacht, allerdings an Orten, die man sonst eher nicht kennt. Die Mitfahrenden begegnen Menschen in Lebenssituationen, die ihnen mutmaßlich wenig vertraut sind. Obdachlose Menschen sind oft krank, fast immer überfordert, verzweifelt, manchmal dichter am Tod als im Leben. So eine Mitfahrt ist ein Crashkurs in menschlichen Angelegenheiten. So schlimm, wie es war, hatten sich das die meisten nicht vorgestellt. Es war gut, dass auch Sie schon einmal mitgefahren sind. Danke, Herr Wegner. Ich erinnere mich, die Fahrt und das Erlebte gingen Ihnen nahe. Das aber macht uns Menschen doch aus.
Der Kampf gegen Wohnungslosigkeit müsse an oberster Stelle stehen, hieß es bei der besagten Pressekonferenz der Wohlfahrtsverbände. An oberster Stelle aber, ich erlaube mir das zu sagen, stehen Sie, Herr Wegner. Natürlich gibt es eine Sozialsenatorin, auch einen Finanzsenator, eine Chefsache aber ist eine Chefsache, zumindest, wenn man diese dazu macht. Allerdings muss ich Sie warnen: Zur „Chefsache“ wurde in Berlin vieles erklärt, an überwältigende Ergebnisse kann ich mich nur nicht erinnern. Nun aber sind Sie doch angetreten, Politik anders zu gestalten. Ich glaube Ihnen und möchte Sie höflich und freundlich daran erinnern – und Ihnen auch Mut machen. Das „C“ in der CDU hat nämlich eine ungeheure Kraft.
Es geht auch darum, wie wir unsere gesellschaftliche Mitte finden
Natürlich sind auch der Bund und Europa gefragt. Wenn aber alle gerade abtauchen oder sonst die Welt retten, ist bei bei diesem Thema genügend Platz für Macherinnen und Macher. Wohnungen fehlen für alle, und ich mache Sie hier nicht verantwortlich, Herr Wegner. Meines Erachtens sind es weniger die fehlenden Wohnungen, es fehlen politischer Mut und sehr viel Geld. Zur Schuldenbremse, zum fehlenden Geld für eigentlich unabdingbare Notwendigkeiten sollen Sie ja ihre Meinung haben. Und hier geht es oft um Geld für Menschenleben.
Der Kampf gegen Obdachlosigkeit kann übrigens Menschen zusammenführen – ich weiß, wovon ich rede. Manchmal haben wir in der Bahnhofsmission Zoo (fast) die gesamte Stadt mobilisiert. Denn beim Kampf gegen die Obdachlosigkeit geht es auch darum, wie wir unsere gesellschaftliche Mitte finden. Kein schlechtes Rezept, wenn es gerade an allen Ecken und Kanten bröckelt.
Einen neuen Höchststand an Milliardären hat Deutschland nun zu vermelden, auch das las ich in den Nachrichte: Es seien nun 249. Ich gönne Menschen den Auskommen und Wohlstand, aber da ist wohl etwas ins Ungleichgewicht gekommen. Schieflagen politisch zu gestalten, auch das ist eine politische Aufgabe. Ich danke Ihnen für Ihre heutige Geduld mit mir, Herr Wegner.
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