Lügen und Manipulation im Netz: Profi zeigt zwei Methoden, wie Sie sich effektiv gegen Fake News wappnen können
Dienstag, 17.09.2024, 12:22
Fake News überschwemmen das Netz und beeinflussen Meinungen. Entscheidungswissenschaftler Dr. Siebert zeigt: Faktenchecks allein reichen nicht! Mit diesen Methoden setzen Sie sich effektiv gegen Lügenkampagnen und Desinformation zur Wehr.
„Man kann alle Leute einige Zeit zum Narren halten und einige Leute allezeit; aber alle Leute allezeit zum Narren halten kann man nicht”, erklärte der US-amerikanische Präsident Abraham Lincoln vor mehr als 150 Jahren. Auch wenn er den Einfluss von Fake News auf die öffentliche Meinung schon damals lebhaft vor Augen hatte, war er doch zuversichtlich genug zu glauben, dass sich – jedenfalls bei der Mehrheit der Menschen – die Wahrheit am Ende durchsetzen werde. Können wir diesen Optimismus im Zeitalter von manipulationsanfälligen Internet-Medien und ihrer globalen Vernetzung noch teilen?
Resignation ist, trotz prominenter gegenteiliger Erfahrungen, eindeutig fehl am Platz. Eine Vielzahl wissenschaftlicher Studien hat sich in jüngster Zeit mit der Wirkungsweise von Fake News befasst und effektive Gegenmittel entwickelt.
Die Ergebnisse geben Anlass zur Besorgnis, aber ebenso zeigen sie: Wir sind der Verführungskraft von Fake News keineswegs wehrlos ausgeliefert. Und möglicherweise kann schon die Lektüre dieses Artikels dazu beitragen, dass Sie in Zukunft bewusster und widerstandsfähiger auf Kampagnen reagieren, die Ihnen etwas weismachen wollen, was Sie von sich aus nie glauben würden.
Über Johannes Siebert
FH-Prof. PD Dr. habil. Johannes Siebert ist Entscheidungswissenschaftler und Verhaltensökonom am MCI | Die Unternehmerische Hochschule® und Privatdozent an der Universität Bayreuth. In seinen Forschungen untersucht er menschliches und organisationales Entscheidungsverhalten und publiziert seine Ergebnisse in führenden Zeitschriften. Er hat Forschungs- und Beratungsprojekte für nationale und internationale Auftraggeber aus Wirtschaft, Politik und Gesellschaft bearbeitet und geleitet.
Wenn uns Kampagnen täuschen wollen …
Wer eine Kampagne startet, um wissentlich falsche Informationen zu verbreiten, will im eigenen Interesse darüber bestimmen, was wir über bestimmte Themen in Gesellschaft, Wirtschaft und Politik denken und welche Konsequenzen wir daraus ziehen. Die Initiatoren solcher Kampagnen machen sich die Tatsache zunutze, dass wir neue Informationen sehr oft unbewusst aufnehmen, bewerten und verarbeiten.
Sind ihre Strategien gezielt auf eine Manipulation dieser Prozesse ausgerichtet, können sie unsere Meinungen signifikant verändern. Dies wird durch die neuen Studienergebnisse und leider auch durch alltägliche Erfahrungen zweifelsfrei belegt. Manipulativ gesteuerte Meinungen haben erheblichen Einfluss auf die Entscheidungen und das Handeln der Menschen – nicht zuletzt in der Politik, wenn es um die Bewertung langfristiger Ziele und Maßnahmen oder um die Stimmabgabe bei Wahlen geht.
Zudem können Fake News, falls sie mit gezielter Häufigkeit über Soziale Medien gestreut werden, die Menschen auch dadurch beeinflussen, dass sie ihnen ein verzerrtes Bild von der Dominanz bestimmter Meinungen im eigenen sozialen Umfeld vorspiegeln.
Wenn wir glauben, dass wir uns in einer Minderheitsposition befinden, sind wir umso eher geneigt, uns mit öffentlichen Meinungsäußerungen zurückzuhalten. Damit unterstützen wir aber ungewollt die Interessen der Initiatoren, die genau dies mit ihrer Kampagne bezwecken.
Faktenchecks: Wirkungsvoll, aber nicht ausreichend
Mittlerweile gibt es in Deutschland zahlreiche Medien und gemeinnützige Organisationen, denen es durch sorgfältig recherchierte Faktenchecks immer wieder gelingt, Fake News zu entlarven. Aber selbst wenn sie die Öffentlichkeit darüber aufklären, bleibt in der Regel dennoch „etwas hängen“.
Der unbewusste Einfluss, den eine durch Fake News erzeugte Meinung auf das Entscheiden und Handeln der Menschen hat, überdauert die Information darüber, dass es sich um Fake News handelt. Dieses Phänomen wird in der Wissenschaft als „Belief Perseverance Bias“ bezeichnet. Es erklärt den nachhaltigen Einfluss von Kampagnen und zeigt, weshalb Faktenchecks nur der erste Schritt im Kampf gegen die öffentliche Wirksamkeit von Fehlinformationen sein können. Doch welche weiteren Instrumente stehen zur Verfügung?
Es gibt unterschiedliche Methoden, die nachweislich dazu beitragen, den „Belief Perseverance Bias“ zu schwächen und damit die nachhaltigen Wirkungen von Fake News zu beenden. Experimente, in denen sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer freiwillig dem Einfluss von Fake News, dann aber den gegensteuernden Aufklärungsverfahren ausgesetzt haben, zeigen: Insbesondere die Gegenrede (Counter speech) und ein auf die langfristige Wirkungsweise von Kampagnen fokussiertes Bewusstseinstraining (Awareness training) sind vielversprechende Instrumente (Siebert und Siebert 2023).
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Punktgenaue Gegenargumente stärken die Urteilskraft
Die Gegenrede zielt zunächst darauf ab, Fake News durch entgegengesetzte Aussagen zu bestreiten. Dabei warnt sie ausdrücklich davor, diesen Fehlinformationen trotz ihrer medialen Verbreitung in Schrift, Bild und Ton Glauben zu schenken. Darüber hinaus will sie durch klare, auch ohne vertieftes Vorwissen gut nachvollziehbare Gegenargumente überzeugen. Dies erfordert einen beträchtlichen Aufwand von denjenigen, die eine solche Gegenrede mit Blick auf die anzusprechenden Zielgruppen entwickeln und in die Öffentlichkeit tragen wollen.
Eine besondere Herausforderung liegt darin, präzise zu benennen, in welchen Punkten die zu widerlegenden Informationen falsch sind. Das ist vor allem dann wichtig, wenn diese Informationen von den Initiatoren einer Fake News-Kampagne so ausgestaltet werden, dass sie durchaus „ein Körnchen Wahrheit“ enthalten – und dadurch auf viele Menschen, die sich mit genau diesem Wahrheitselement identifizieren, glaubwürdig wirken. Dann muss die Gegenrede aufzeigen, wie unbestreitbare Tatsachen durch Übertreibungen, ungerechtfertigte Pauschalisierungen und falsche kausale Erklärungen dazu missbraucht werden, Fake News in ihrer Gesamtheit attraktiv erscheinen zu lassen.
Besonders effektiv ist die Technik der Gegenrede, wenn sie darauf hinweist, dass es grundsätzlich mehrere Argumente gibt, die geeignet sind, die betreffende Fake News zu widerlegen. In diesem Kontext erscheinen dann die ausdrücklich vorgetragenen Gegenargumente als Beispiele, die aus einer Vielzahl möglicher Argumente ausgewählt wurden.
Darauf aufbauend kann und sollte die Gegenrede ihre jeweiligen Zielgruppen auffordern, weitere Gegenargumente zu entwickeln. So appelliert sie an die selbständige Urteilskraft jedes Einzelnen. Und sie stärkt die Distanz zu Fehlinformationen, die in Kampagnen gerne so dargestellt werden, als würden sie mit kollektiven Alltagserfahrungen und Bewertungen übereinstimmen.
Selbst-Bewusstsein cancelt Kampagnenerfolge
Das Bewusstseinstraining ist eine Methode, die über den Einzelfall der zu widerlegenden Fake News entschieden hinausreicht. Es informiert die jeweiligen Zielgruppen über die Existenz und die Wirkungsweise des „Belief Perseverance Bias“. Im Kern geht es darum, die Sensibilität für negative Auswirkungen dieses Langzeit-Effekts zu erhöhen.
Es gilt, die Aufmerksamkeit für die in der Regel unbewussten Mechanismen der eigenen Meinungsbildung zu schärfen. Diese auf eine Stärkung des „Selbst-Bewusstseins“ ausgerichtete Technik lässt sich auf Fehlinformationen aller Art anwenden. Sie verlangt von denjenigen, die sie angesichts von Fake News-Kampagnen zur öffentlichen Gegenwehr einsetzen, insgesamt nur einen geringen Aufwand.
Auch das Bewusstseinstraining beginnt mit der Warnung, dass es sich bei einer bestimmten, aktuell verbreiteten Information um eine Fake News handelt. Daran schließt sich der Hinweis an, dass diese Information genau deshalb, weil sie den Tatsachen widerspricht, keinen Einfluss auf die Meinungen, Entscheidungen und Handlungen der Menschen haben sollte.
Daran anknüpfend, wird das Phänomen der Überzeugungstreue kritisch beleuchtet: Es ist dafür verantwortlich, dass viele Menschen auch dann noch an Meinungen festhalten, wenn diese längst als falsch und als Folgen manipulativer Kampagnen entlarvt sind. Überzeugungstreue fördert daher irrationales Entscheiden und Handeln, das die eigenen Interessen langfristig beschädigt.
Die Adressaten des Bewusstseinstrainings sollen sich also vergegenwärtigen: Eine gelingende Lebensplanung und schon die erfolgreiche Bewältigung eines sich rasch verändernden Alltags verlangen jedem Einzelnen die Bereitschaft ab, verfestigte – und womöglich liebgewonnene – Meinungen aufzugeben. Konkrete Beispiele verstärken die Warnung vor den Fallen eines falschen Verharrens im eigenen „Mindset“.
Eine wirkungsvolle Kombination
Eine am Management Center Innsbruck durchgeführte Studie (Siebert und Siebert 2024) zeigt, wie vorteilhaft es ist, die beiden Methoden – die Gegenrede und das Bewusstseinstraining – miteinander zu kombinieren. Werden sie so eingesetzt, dass sie inhaltlich und kommunikativ ineinander greifen, lässt sich der im öffentlichen Raum wie im persönlichen Leben schädliche Einfluss von Fake News auf die Meinungsbildung nahezu eliminieren.
Content stammt von einem Experten des FOCUS online EXPERTS Circles. Unsere Experts verfügen über hohes Fachwissen in ihrem Bereich. Sie sind nicht Teil der Redaktion. Mehr erfahren.
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