Zehn Jahre nach dem Völkermord leben Tausende Jesiden in prekären Verhältnissen. Die Rückkehr in ihre Heimat bleibt ihnen weiterhin verwehrt. Der Wiederaufbau iher Dörfer kommt nicht voran – trotz deutscher Hilfe.
Luise Amtsberg kommt gerade zurück aus dem Irak. Von einer Reise, die für sie sehr emotional war. Die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung war in den Flüchtlingslagern, in denen auch zehn Jahre nach Beginn des Völkermordes noch immer Tausende Jesidinnen und Jesiden leben – in Zeltstädten, die eigentlich nur für den Übergang gedacht waren.
Es sind Lager, die die irakische Regierung schließen will, obwohl es weiter am Wichtigsten fehlt: nämlich an einer Rückkehrperspektive in das Sindschar-Gebirge im Norden des Irak, der Heimat der Geflüchteten.
“Es ist eine traurige Bilanz”, sagt die Grünen-Politikerin ganz offen. Ernüchternd und auch ein bisschen desillusionierend. Denn eigentlich war es das Ziel der deutschen Regierung, mit Geld und Know-How möglichst schnell dafür zu sorgen, dass Dörfer und Städte wiederaufgebaut werden. Damit die Menschen zurückkehren können in ihre Heimat.
Wiederaufbau kommt nicht voran
Dass der Wiederaufbau nicht in Gang kommt, hat aus ihrer Sicht verschiedene Gründe. Zum einen gelinge es der zentralirakischen Regierung nicht, für Sicherheit zu sorgen und die Kontrolle über die Region zurückzugewinnen. Bis heute verfolgen bewaffnete Milizen, aber auch der Iran, eigene Interessen im Nordirak. Das gilt auch für die Türkei, die hier gegen die PKK kämpft.
Zum anderen müsse die Zentralregierung den Wiederaufbau endlich ernsthaft in Angriff nehmen. Oft fehlt es an grundlegender Infrastruktur. Nicht nur an Wasser und Strom, sondern auch an Geschäften, Verwaltung und Arbeitsplätzen. “Wir können ja nicht staatliche Strukturen ersetzen”, betont Luise Amtsberg. “Sondern nur auf die Bemühungen des Staates draufsatteln, der verantwortlich ist.”
Wie viel Geld die Bundesregierung dafür bereit ist, auch künftig zur Verfügung zu stellen, ist angesichts der angespannten Haushaltslage derzeit offen. Bislang, sagt die Grünen-Politikerin, habe sich die Bundesregierung sehr stark im Irak engagiert – mit mehr als drei Milliarden Euro seit 2014.
Eine Frage der Verantwortung
Dass weiter im Irak investiert wird, da ist sich die Menschenrechtsbeauftragte sicher. Ganz besonders, wenn es um die Frage der Unterstützung der Jesidinnen und Jesiden geht. “Dieses Engagement darf nicht aufhören”, mahnt sie und verweist auf die Verantwortung, die auch Deutschland übernommen hat.
Im Januar 2023 hatte der Bundestag die Gräueltaten der Terrormiliz an den Jesiden als Völkermord anerkannt. Eine Entscheidung, die auch ein Versprechen war: alles zu tun, um den Horror, den die Menschen erlebt haben, wiedergutzumachen. Dafür zu sorgen, dass die Betroffenen wieder in Würde leben können.
Genau das aber ist aus Sicht von Luise Amtsberg im Irak derzeit nicht möglich. Weshalb sie es für “nicht hinnehmbar” hält, dass nach Deutschland geflüchtete Jesidinnen und Jesiden inzwischen von einigen Bundesländern abgeschoben werden. Eine Haltung, die auch von Menschenrechtsorganisationen und einigen Politikern geteilt wird. Sie forderten anlässlich des zehnten Jahrestags des Völkermords deshalb eine bundesweiten Abschiebestopp.
Aufgeben ist keine Option
Für die Menschenrechtsbeauftragte steht außer Frage, dass die Bundesregierung weiter das Gespräch mit den politisch Verantwortlichen im Nord- und im Zentralirak suchen muss: Um Fehler zu analysieren, nach Lösungen zu suchen und um einen ehrlichen Blick auf die Lage vor Ort zu haben.
Letztlich wollten ja alle dasselbe, meint sie. Nämlich, dass die Camps verschwinden und die Menschen zurück in ihre Heimat können. Davon sei man noch weit entfernt. Ein Grund zum Aufgeben sei das aber nicht. Es brauche weiterhin ein starkes, deutsches Engagement, um die Jesidinnen und Jesiden zu schützen und zu unterstützen, fordert sie. Und manchmal einen Jahrestag, um daran zu erinnern.
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